Die Deutsche Islam Konferenz – Religion, Politik und Integration

Am 28./29. November 2018 hat das Bundesinnenministerium (BMI) die vierte Deutsche Islam Konferenz (DIK) eröffnet. Der Gastgeber Horst Seehofer begrüßte die Teilnehmenden mit einer Grundsatzrede, in der er die Agenda für die vierte Islamkonferenz in der Fragestellung zusammenfasste, wie es gelingen könne, einen Islam in Deutschland zu fördern, „der in unserer Gesellschaft verwurzelt ist, die Werte unseres Grundgesetzes teilt und die Lebensarten dieses Landes achtet – einen Islam in, aus und für Deutschland, einen Islam der deutschen Muslime“1. Hierzu hat Seehofer viele verschiedene Akteure eingeladen, die den Islam bzw. den Islamdiskurs in Deutschland beeinflussen. Das BMI hat auf diese Weise versucht, die Pluralität des Islam in Deutschland möglichst umfassend abzubilden und miteinander ins Gespräch zu bringen. Im Mittelpunkt der DIK IV sollen alltagspraktische Fragen des Zusammenlebens stehen.

Einige dieser Ideen knüpfen stark an vorangegangene Formate der DIK an, andere weichen explizit davon ab. Die aktuelle DIK bewegt sich zwischen Kontinuität und Wandel. Was sagt diese Ausrichtung über die Entwicklung der Islampolitik in Deutschland? Welche Fortschritte lassen sich beobachten? Welche Lernprozesse sind zu erkennen? Inwiefern haben sich die Bedingungen verändert und wo sind Stagnationen oder gar Rückschritte zu erkennen? Und zuletzt: Auf welchen Leitideen basieren die Konferenzen?

Zur Klärung dieser Fragen bedarf es einer Rückschau auf die Entwicklung der Deutschen Islam Konferenz von 2006 bis heute. Hierzu werden im Folgenden die vier Phasen der DIK hinsichtlich ihrer Strukturen, ihrer personellen Zusammensetzung sowie ihrer Zielsetzungen und Ergebnisse beleuchtet und in Beziehung zueinander gesetzt.

DIK I (2006 – 2009) – Aufbruch zur Religionspolitik

Die Einberufung der DIK im Jahr 2006 kann als eine Wende der deutschen Religionspolitik betrachtet werden. Schien die Politik jahrzehntelang mehrheitlich von der Auffassung geleitet, dass mit dem Art. 4 GG, dem Art. 7 GG und den Art. 136-141 der Weimarer Reichsverfassung (WRV), die in Art. 140 GG inkorporiert wurden, alle notwendigen Regelungen zur Religionspolitik erfolgt seien, änderte sich diese Einschätzung mit Beginn des 21. Jahrhunderts nach und nach. Nachdem in der Politik anerkannt wurde, dass Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist, sich das religiöse Feld nachhaltig pluralisiert hat und Religion spätestens seit dem 11. September 2001 wieder zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, wurden religionspolitische Herausforderungen in der Politik wieder stärker wahrgenommen. Eine Reaktion darauf war die Einberufung der Deutschen Islam Konferenz im Jahr 2006. Sie wurde im Referat M II 3 „Interkultureller Dialog und Deutsche Islam Konferenz“ in der Abteilung „Migration, Integration, Flüchtlinge und Europäische Harmonisierung“ des Bundesinnenministeriums eingerichtet.

Die strukturelle Einbindung der DIK zeigt, wie diese neue Form der Religionspolitik in Deutschland verstanden wurde: Sie wurde nicht ausschließlich von Überlegungen zur religionspolitischen Integration geleitet, sondern von umfassenden Integrationsbemühungen sowie von sicherheitspolitischen Erwägungen.

Sie fand auf Initiative und unter Leitung des BMI statt. Der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble formulierte als Aufgabenstellung der DIK die Suche nach „Lösungen der Probleme des Zusammenlebens gemeinsam und im Dialog mit den in Deutschland lebenden Muslimen“2. Die DIK wurde als ein „Problembearbeitungsinstrument, für das der Modus der Verhandlung zentral ist“3, konstituiert. Das BMI legte in der DIK I die Teilnehmenden, die Struktur und die thematische Agenda fest. Das repräsentative Plenum wurde mit 15 staatlichen und 15 muslimischen Akteuren besetzt. Die staatlichen Vertreter setzten sich aus Kommunal-, Landes- und Bundespolitikern zusammen. Die Besetzung aufseiten der Muslime stellte von Beginn an eine große Herausforderung dar, da die Frage, wer die Muslime in Deutschland repräsentiert, unterschiedlich beantwortet wurde und bis heute kontrovers diskutiert wird. Schäuble entschied sich dafür, die Muslime in Deutschland durch verbandlich organisierte Akteure sowie durch nichtverbandlich organisierte muslimische Einzelpersonen abzubilden. 5 der 15 muslimischen Teilnehmenden wurden mit Mitgliedern der Verbände (DİTİB, ZMD, VIKZ, IRD und AABF) besetzt, die anderen zehn besetzte Schäuble durch „Vertreter der nicht organisierten Muslime …, die die verschiedensten Facetten der muslimischen Lebenswirklichkeit in Deutschland repräsentieren sollten“4. Er begründete diese Einladungspolitik mit einer Erhebung, der zufolge lediglich 15 bis 20 % der Muslime in Deutschland durch die islamischen Verbände repräsentiert werden.

Diese Einladungspolitik war von Anfang an umstritten und wurde vor allem von den islamischen Verbänden als unzulässige Einmischung des Staates in die Entwicklung des Islam in Deutschland aufgefasst. Es wurde kritisiert, dass sich der Staat einen „Wunschislam“ zusammenstelle und damit seine Neutralitätspflicht verletze. Trotz dieser Kritik nahmen auch die Vertreter der muslimischen Verbände an der Konferenz teil und bearbeiteten in Arbeitsgruppen und einem Gesprächskreis gesellschaftspolitische, religionspolitische, integrationspolitische und sicherheitspolitische Fragestellungen.

Die AG 1 diskutierte die deutsche Gesellschaftsordnung, formulierte einen Wertekonsens und prüfte dessen praktische Verwirklichung. In der AG 2 wurden Religionsfragen vor dem Hintergrund des deutschen Verfassungsverständnisses diskutiert. Dort wurde etwa der rechtliche Umgang mit Normen der Scharia beraten, die Ausbildung von islamischen Religionsbediensteten, die Etablierung von islamischer Theologie an deutschen Universitäten sowie die Handhabung schulpraktischer Fragen, etwa bezüglich Kleidungsvorschriften im Sport- und Schwimmunterricht, der Teilnahme an Klassenfahrten sowie des Umgangs mit religiösen Feiertagen. Die AG 3 diskutierte eine stärkere Partizipation von Muslimen an der deutschen Medienlandschaft. Der Gesprächskreis verständigte sich über das Thema Bedrohung der inneren Sicherheit durch den Islamismus in Deutschland und entwickelte Kooperationsprojekte zwischen Bund und Ländern. Die Integration der Sicherheitsthematik in die Konferenz rief unter einigen muslimischen Teilnehmern der DIK Kritik hervor, da diese den Gesprächskreis als Generalverdacht gegen Muslime auffassten.

Die intensiven und sehr kontroversen Debatten, die sich vor allem aus der Zusammensetzung der Muslime in der DIK ergaben, beschränkten sich nicht auf die Arbeitsgruppe, den Gesprächskreis und das Plenum, sondern erreichten auch den breiten öffentlichen Diskurs. Die Einbindung der Öffentlichkeit in die Prozesse und Diskussionen der DIK wurde von Wolfgang Schäuble selbst angestoßen. Wenige Tage vor Beginn der Konferenz wurde in der FAZ sein Artikel „Muslime in Deutschland“ veröffentlicht. Schäuble hat darin unter anderem seine Auffassung von der Rolle und Bedeutung von öffentlicher Religion im säkularen Staat grundsätzlich dargelegt und betont, dass Religionen gläubigen Personen Halt und Orientierung geben und Menschen miteinander verbinden können. Der säkulare Staat könne von den Antriebs- und Bindungskräften5 der Religionen profitieren, wenn die religiösen Ansprüche in den gesetzlichen Rahmen der Grund- und Bürgerrechte eingebunden seien.

Diese Passagen geben einen deutlichen Hinweis darauf, dass Schäuble den staatlichen Dialog mit den Muslimen nicht nur in integrations- und sicherheitspolitische Erwägungen eingebettet, sondern dass er die DIK auch durch die gesellschaftliche Bedeutung von Religion – Bedeutung verstanden als Relevanz und Sinngebung von Religion – begründet hat. Damit hat Schäuble im Rahmen der DIK die kooperativ ausgerichtete Religionspolitik in Deutschland bekräftigt und die Islampolitik in das Politikfeld der Religionspolitik eingebunden. Er hat damit aber auch ein neues Nachdenken über Religionspolitik in Deutschland ausgelöst. Gegenwärtig wird auf breiter gesellschaftlicher Ebene über die Beibehaltung oder Veränderung des deutschen Religionsverfassungsrechts diskutiert. Zudem erheben auch weitere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften Anspruch auf religionspolitische Inklusion6 und erfahren zunehmend gesellschaftspolitische Resonanz.

DIK II (2010 – 2013) – Religion, Sicherheit und Integration

Die DIK II, die von Thomas de Maizière eröffnet und nach dessen Wechsel ins Verteidigungsministerium von Hans-Peter Friedrich fortgeführt wurde, vernachlässigte solche grundsätzlichen Überlegungen zur Beziehung zwischen Staat und Religionen eher, da sie beanspruchte, praktische Aufgaben zu fokussieren.

Lesen Sie weiter im Materialdienst der EZW: https://www.ezw-berlin.de/html/15_10028.php


Anmerkungen

1 Horst Seehofer: Grundsatzrede zum Auftakt der 4. Deutschen Islam Konferenz, www.bmi.bund.de/SharedDocs/reden/DE/2018/11/rede-dik-20181128.html (Abruf: 12.12.2018).
2 Wolfgang Schäuble: Deutsche Islam Konferenz – Perspektiven für eine gemeinsame Zukunft. Rede zur 54. Sitzung des Deutschen Bundestages, in: Deutsche Islam Konferenz (Hg.): Drei Jahre Deutsche Islam Konferenz (DIK) 2006 – 2009. Muslime in Deutschland – deutsche Muslime, Berlin 2009.
3 Marcel Klinge: Islam und Integrationspolitik deutscher Bundesregierungen nach dem 11. September 2001. Eine Politikfeldanalyse der ersten Deutschen Islam Konferenz und ihrer Implikationen für die nationale Integrationspolitik, Berlin 2012, 143f.
4 Schäuble: Deutsche Islam Konferenz (s. Fußnote 2), 17.
5 Vgl. Wolfgang Schäuble: Muslime in Deutschland (Namensartikel in der FAZ vom 27.9.2006), www.wolfgang-schaeuble.de/wp-content/uploads/2015/04/060927faz.pdf (Abruf: 11.12.2018).
6 Dies äußert sich etwa in der Forderung nach einer Konferenz über Religions- und Weltanschauungsfragen durch den Präsidenten des Humanistischen Verbandes Deutschlands, Florian Zimmermann. Zimmermann sieht das langfristige Ziel einer solchen Konferenz in der Reform des Staatskirchenrechts. Vgl. hpd: Der Islam, eine ganz normale Religion?, https://hpd.de/artikel/islam-ganz-normale-religion-16253 (Abruf: 21.12.2018).

Religionspolitik

„Religionspolitik“ ist in Deutschland erst seit Kurzem ein gesellschaftspolitischer Begriff. Viele Jahre schien das Verhältnis von Staat, Politik und Religion durch das Staatskirchenrecht ausreichend bestimmt. Doch seitdem die Rolle von Religionen in modernisierten Gesellschaften zunehmend kontrovers zwischen den widerstreitenden Narrationen von einer voranschreitenden Säkularisierung auf der einen und dem Wiedererstarken von Religion auf der anderen Seite diskutiert wird, sind vermehrt offene Fragen sichtbar geworden. Sie kulminieren mitunter in einer grundsätzlichen Infragestellung der bestehenden Ordnung.

Die Diagnose einer abnehmenden Bedeutung der Religionen durch voranschreitende Säkularisierungsprozesse wird dabei etwa als Argument eingeführt, um die derzeitige Kooperation von Staat und Religionsgemeinschaften bzw. Kirchen infrage zu stellen oder um eine stärkere (auch strukturelle) Wahrnehmung von Konfessionslosen zu fordern. Letzteres wird häufig von humanistischen Organisationen angeregt, die sich gern als Sprachrohr für die konfessionslose Bevölkerungsgruppe verstanden wissen und ihren Einfluss ausbauen wollen (vgl. Bauer 2016, 232f). Allerdings wird auch die zunehmende religiöse Pluralisierung der Gesellschaft als Argument für eine stärker laizistisch orientierte Religionspolitik herangezogen, da in der Privatisierung von Religion die Lösung zum Umgang mit religiöser Vielfalt gesehen wird. Das Argument lässt sich beispielsweise in der aktuellen Diskussion über das Berliner Neutralitätsgesetz beobachten. Diese Kontroversen haben Auswirkungen auf das Verständnis und die Ausrichtung der Religionspolitik.

Handlungsfeld

Wie umstritten die Bestimmung der Religionspolitik ist, wird beim Versuch deutlich, das Handlungsfeld von Religionspolitik zu definieren. So vertritt etwa der Staats- und Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde die Position, dass mit der Anerkennung der Religionsfreiheit im Grundgesetz alles Notwendige zum Verhältnis von Staat und Religion gesagt sei. Er hinterfragt deshalb, ob es eine staatliche Religionspolitik überhaupt geben dürfe oder ob nicht jede Einmischung des Staates in die Freiheit und Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaften eine Verletzung der Trennung von Staat und Religion darstelle. Religionspolitik wird von Böckenförde demnach als Verteidigung der Religionsfreiheit beschrieben. Er fokussiert sich dabei vor allem auf die Grenzen von Religionspolitik, indem er die Trennung von Staat und Kirche als leitendes Prinzip zugrunde legt. Dass allerdings auch diese Funktionsbeschreibung von Religionspolitik politische und rechtliche Aushandlungsprozesse und Entscheidungen erforderlich machen kann, wird spätestens dann deutlich, wenn die Religionsfreiheit mit anderen Grundrechten in Konflikt gerät oder wenn die Freiheit von der Religion (negative Religionsfreiheit) gegen die Freiheit zur Religion (positive Religionsfreiheit) in Stellung gebracht wird.

Die daraus resultierende Prozesshaftigkeit von Religionspolitik berücksichtigt der Politikwissenschaftler Ulrich Willems in seiner Bestimmung von Religionspolitik. Er definiert sie „als all jene Prozesse und Entscheidungen, in denen die religiöse Praxis von Individuen einschließlich ihrer kollektiven Ausdrucksformen sowie der öffentliche Status, die Stellung und die Funktionen von religiösen Symbolen, religiösen Praktiken und Religionsgemeinschaften in politischen Gemeinwesen geregelt werden“ (Willems 2001, 137). Willems‘ Definition schließt aktuelle Debatten über Religionsunterricht, den Umgang mit religiösen Symbolen in staatlichen Einrichtungen (Kreuz, Kopftuch etc.) und religiösen Ritualen und Praktiken (z. B. Beschneidung, Bestattungen, Feiertage) sowie die Anerkennung von religiösen und weltanschaulichen Gruppierungen als Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und die Verleihung des Körperschaftsstatus mit ein. Den sich aus diesen Diskussionen und Anträgen ergebenden anhaltenden Steuerungs- und Aushandlungsbedarf bettet Willems allerdings nicht in die religions- und verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes ein. In seiner Definition deutet sich damit eine Offenheit für die Aushandlung der normativen Grundlagen der Religionspolitik an.

Der Politikwissenschaftler Antonius Liedhegener betrachtet diesen Ansatz skeptisch und sieht die Gefahr, dass der politischen Regulierung von Religion hierdurch ein zu großer Handlungsspielraum eingeräumt werde. Er beschreibt Religionspolitik als eine Kombination aus den religions- und verfassungsrechtlichen Grundlagen mit den fortlaufenden juristischen und politischen Entscheidungen und administrativen Festlegungen, die aus dem anhaltenden Regelungsbedarf im Feld der Religionspolitik resultieren. Er betrachtet den Aushandlungsbedarf nicht als ungewöhnlich, da es ihn in gewissem Umfang zu jeder Zeit gegeben habe.

In Liedhegeners Bestimmung wird zudem das besondere Zusammenspiel von rechtlicher und politischer Regulierung deutlich, das für die Religionspolitik in Deutschland charakteristisch ist. Die Komplexität dieses engen Zusammenspiels steigert sich noch dadurch, dass die deutsche Religionspolitik verschiedene Instanzen in Bund, Ländern und Kommunen tangiert. Während im Bund Fragen des Religionsverfassungsrechts in grundsätzlicher Art, Aspekte des Tierschutzes sowie Fragen des Arbeits- und Betriebsverfassungsrechts entschieden werden, haben die Länder die Kultushoheit und bestimmen etwa über den Religionsunterricht. In den Kommunen werden hingegen vor allem Herausforderungen gelebter Religiosität ausgetragen (interreligiöser Dialog, Moscheebau etc.).

Rechtliche und politische Grundlagen

Die einzelnen Bestimmungen des deutschen Religionsverfassungsrechts fußen auf Art. 4 GG, dem Recht auf Glaubens-, Bekenntnis- und Gewissensfreiheit sowie auf der Versicherung, dass die ungestörte Religionsausübung gewährleistet wird. Ergänzt wird es durch Art. 7 GG, in dem der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach in den Schulen (mit Ausnahme von bekenntnisfreien Schulen) kodifiziert wird. Grundlegende Bestimmungen zum Religionsverfassungsrecht bilden zudem die Art. 136-141 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919, die in Art. 140 GG inkorporiert wurden. In diesen Artikeln werden sowohl Trennungs- als auch Verbindungslinien zwischen Staat und Religion fixiert. So wird im Art. 137 WRV, Abs. 1, festgelegt, dass es keine Staatskirche gibt und dass Religionsgesellschaften ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken des geltenden Rechts selbständig ordnen und verwalten. Die Trennung zwischen Staat und Religion schützt sowohl die Hoheitsmacht des Staates vor religiösen Übergriffen als auch die Religion vor staatlichen Machtansprüchen und Vereinnahmungen.

In Deutschland ist diese Trennung allerdings nicht laizistisch, sondern kooperativ ausgerichtet und zeichnet sich demnach durch ein kontrolliertes Aufeinanderbezogensein aus. Dies drückt sich etwa in Art. 141 WRV, in der Möglichkeit zur Militär-, Gefängnis- und Krankenhausseelsorge, aus sowie in Art. 137 WRV, Abs. 5 und 6, mit der Möglichkeit für Religionsgemeinschaften, sich als Körperschaften des öffentlichen Rechts zu organisieren und beispielsweise Steuern zu erheben. Religionen werden in diesen Bestimmungen als Akteure des öffentlichen Lebens anerkannt und dafür vom Staat gefördert. Als solche übernehmen sie Aufgaben in der Gesellschaft. Dies zeigt sich besonders deutlich in der Arbeit von Organisationen wie Caritas, Diakonie und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Der Staats- und Kirchenrechtler Hans Michael Heinig fasst die Vorteile des Religionsverfassungsrechts darin zusammen, dass die destruktiven Potenziale von Religion eingehegt und ihre sozialproduktiven Kräfte stimuliert werden (vgl. Heinig 2018, 21).

Religion wird jedoch nicht nur ein Beitrag zur Funktionalität und Gestaltung der Gesellschaft, sondern auch zu ihrer Sinnstiftung attestiert. Diese ist Böckenförde zufolge für den freiheitlichen, säkularisierten Staat essenziell, da er „von Voraussetzungen [lebt], die er selbst nicht garantieren kann“. Böckenförde äußerte diesen Satz in einem Text des Jahres 1967 und stellte damit zum einen ein zentrales Wagnis eines freiheitlichen Staates heraus und versuchte zum anderen, Christen dazu zu ermutigen, ihren Platz im säkularen Rechtsstaat einzunehmen. Eine modifizierte Neuauflage erfuhr dieses Argument durch den Sozialphilosophen Jürgen Habermas, der die Gefahr hervorhebt, dass sich der Staat durch einen vorschnellen Ausschluss von religiösen Argumenten aus dem öffentlichen Diskurs wichtiger Anregungen und Sinnressourcen berauben könnte.

Einschätzung

Die im Religionsverfassungsrecht festgelegte kooperative Trennung von Staat und Religion basiert auf einer „respektvolle[n] Nicht-identifikation des Staates“ (Bielefeldt 2007, 77). Strukturell übersetzt sich dieser Grundsatz in Deutschland darin, dass die Kooperationsmöglichkeiten zwischen Staat und Religion prinzipiell allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zugänglich sind. Auch wenn der Staat aufgrund von Traditionen, historischen Entwicklungen und des kollektiven Gedächtnisses der Gesellschaft unterschiedliche Grade von Nähe, Kooperation und Distanz zu verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften aufweist, stellen die religionspolitischen Grundlagen ein gutes Grundgerüst zum Umgang mit religiösem und weltanschaulichem Pluralismus dar.

Die religiöse und weltanschauliche Neutralität des Staates dient dabei als kritisch-normatives Prinzip, durch das bewusste oder nicht bewusste Diskriminierung angezeigt und ausgleichende Veränderungsprozesse angeregt werden können. Wichtig ist, dass sich die Nicht-Identifikation in den staatlichen Strukturen manifestiert, Parität gewährleistet ist und die Kooperationsmöglichkeiten somit auch tatsächlich allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften offen stehen. Dass Änderungen und neue Kooperationen politischer Aushandlungen bedürfen und auch gesellschaftspolitische Diskussionen und Kontroversen hervorrufen können, belegen zahlreiche aktuelle religionspolitische Debatten über Religions- und Weltanschauungsunterricht, über religiöse Symbole im öffentlichen Raum sowie über die Kooperationen und Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften.

Die Dynamik solcher religionspolitischer Prozesse wird am Beispiel der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuch von Lehrerinnen in öffentlichen Schulen besonders deutlich: Während das Bundesverfassungsgericht 2003 entschieden hatte, dass die Bundesländer ein Kopftuchverbot von Lehrerinnen in öffentlichen Schulen erteilen können, wenn eine hinreichend bestimmte Grundlage besteht, wies das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung im Jahr 2015 als verfassungswidrig zurück und bestimmte stattdessen, dass ein solches Verbot nur zulässig ist, wenn der Schulfrieden nachweislich gestört wurde.

Die bestehenden religionsverfassungsrechtlichen Bestimmungen sind im Grundsatz dafür geeignet, solche Kontroversen zu lösen und den Regelungsbedarf auszuhandeln. Diese Einschätzung vertritt auch eine Mehrheit der parteipolitischen Akteure (vgl. von Scheliha 2018, 133). Ein laizistischerer Kurs findet dagegen vor allem in Teilen von Bündnis 90/Die Grünen sowie Teilen der Linken und der FDP Zustimmung.

Am deutlichsten ist er aber in der AfD ausgeprägt. Sie fordert in ihrem Wahlprogramm für die Landtagswahl in Bayern 2018 die Ablösung der Staatsleistungen, die Auflösung der Staatskirchenverträge, die Unterbindung des Kirchenasyls sowie die Verdrängung religiöser (islamischer) Symbole und Rituale aus dem öffentlichen Raum. Experten, wie Ulrich Willems, sehen in solchen Forderungen, die nicht mit dem Freiheitsrecht der Religionsfreiheit vereinbar sind, auch ein Resultat der Zögerlichkeit politischer Entscheidungsfindung (vgl. Willems 2018, 15).

Die Veränderungen der Gesellschaft seit 1919 und 1948 machen eine intensive Debatte über das Handlungsfeld von Religionspolitik, über Anpassungen und über eventuelle Neuerungen erforderlich. Ein gewisser Veränderungs- und Ausgleichsbedarf sollte von den politischen Akteuren nicht ignoriert, sondern gemeinsam mit religiösen und weltanschaulichen Akteuren diskutiert werden. Denn nur auf diese Weise kann die Integrationskraft des bestehenden Religionsverfassungsrechts auch unter den Bedingungen einer sich zunehmend religiös und weltanschaulich pluralisierenden Gesellschaft gewährleistet werden. Zudem sollte Religionspolitik Räume schaffen, in denen Kritik an und zwischen den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften artikuliert werden kann und eine (auch kritische) Verständigung ermöglicht wird, durch die Diskussionen in Extremen und ein vereinfachender Dualismus vermieden werden.

Der Artikel entstand als Stichwort der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) und wurde erstmalig im Materialdienst der EZW veröffentlicht. Dieser Artikel und weitere zum Thema sind auf der Website abrufbar:  www.ezw-berlin.de


Quellen

Bundesverfassungsgericht (BVerfG): BVerfG 2 BvR 1436/02, 2003
Bundesverfassungsgericht (BVerfG): BVerfG 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10v), 2015
Alternative für Deutschland (AfD): Bayern. Aber sicher! Wahlprogramm Landtagswahl Bayern 2018, Nürnberg 2018

Sekundärliteratur

Bauer, Michael: Kooperative Laizität. Herausforderungen der deutschen Religionspolitik aus Sicht des Humanistischen Verbandes Deutschlands, in: Thörner, Katja / Thurner, Martin (Hg.): Religion, Konfessionslosigkeit und Atheismus, Freiburg i. Br. 2016, 225-246
Bielefeldt, Heiner: Menschenrechte in der Einwanderungsgesellschaft. Plädoyer für einen aufgeklärten Multikulturalismus, Bielefeld 2007
Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Notwendigkeit und Grenzen staatlicher Religionspolitik, in: Thierse, Wolfgang (Hg.): Religion ist keine Privatsache, Düsseldorf 2000, 173-184
Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Der säkularisierte Staat, München 2007
Habermas, Jürgen: Vorpolitische Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates?, in: Habermas, Jürgen / Ratzinger, Joseph: Dialektik der Säkularisierung, Bonn 2005, 15-37
Heinig, Hans Michael: Staat und Religion in Deutschland. Historische und aktuelle Dynamiken im Religionsrecht, in: APuZ 28-29/2018, 16-21
Liedhegener, Antonius: Das Feld der Religionspolitik – ein explorativer Vergleich der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz seit 1990, in: Zeitschrift für Politik (ZfP), 61/2 (2014), 182-208
Scheliha, Arnulf von: Zwischen christlicher Leitkultur und Laizismus. Zur religionspolitischen Willensbildung der Parteien in Deutschland, in: Gerster, Daniel / van Melis, Viola / Willems, Ulrich (Hg.): Religionspolitik heute. Problemfelder und Perspektiven in Deutschland, Freiburg i. Br. 2018, 116-138
Willems, Ulrich: Religionspolitik in der Bundesrepublik Deutschland 1945 – 1955. Die politische Regulierung der öffentlichen Stellung von Religion und Religionsgemeinschaften, in: ders. (Hg.): Demokratie und Politik in der Bundesrepublik Deutschland: 1945 – 1999, Opladen 2001, 137-162
Willems, Ulrich: Stiefkind Religionspolitik, in: APuZ 28-29/2018, 9-15

Wozu Religionspolitik? Zur Erläuterung des anhaltenden Regelungsbedarfs in der Religionspolitik

Die Analysen der Wohlprogramme vom CDU/CSU, SPD, Die Linke, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und AfD für die Bundestagswahl 2017 haben ergeben, dass der Aspekt „Religion“ die politischen Agenden der Parteien entscheidend mitbestimmt.
Dieses Agenda Setting lässt sich mit dem provokanten Hinweis des Verfassungsrechtlers Ernst Wolfgang Böckenförde, dass „mit der Anerkennung der Religionsfreiheit im Grundgesetz alles Notwendige zum Verhältnis von Staat und Religion gesagt“ ist (Böckenförde 2000: 173), allerdings kritisch in Frage stellen. Wieso also gibt es in diesem Politikfeld trotz der religionsrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetz immer wieder neuen Regelungsbedarf?

Anders als es Böckenfördes zugespitzte Aussage andeutet, besteht das deutsche Religionsverfassungsrecht nicht allein aus der Religions-, Bekenntnis- und Gewissensfreiheit, sondern auch aus den § 136-141 der Weimarer Reichsverfassung von 1919, die in den §140 des Grundgesetzes aufgenommen wurden. Darin werden nicht nur Trennungslinien zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, sondern auch zahlreiche Verbindungspunkte fixiert, aus denen sich eine komplexe Gemengelage bezüglich des Verhältnisses von Religion und Politik ergibt. Aktuell erzeugen vor allem der Umgang mit religiöser Vielfalt und der Zunahme von konfessionslosen Bürger*innen politischen Regelungsbedarf. Dies kann in den Wahlprogrammen vor allem durch die politischen Steuerungsvorschläge nachvollzogen werden, welche die Parteien zur religionspolitischen Integration der islamischen Religion oder im Umgang mit Herausforderungen von religionsaffinen Konflikten, wie religiösem Extremismus, einführen.

Hierbei steht zuletzt auch die Aktualität der religionspolitischen Regelungen, die bis vor wenigen Jahren noch als Staatskirchenrecht firmierten, selbst zur Diskussion. Ulrich Willems, Politikwissenschaftler der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, bewertet eine öffentliche Debatte über das Religionsverfassungsrecht aus diesen Gründen als wichtigen Baustein, um die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber der Religionspolitik zu erhöhen. Er beobachtet eine Schlagseite zugunsten der christlichen Politik, die sich aus der Entstehung des Religionsverfassungsrechts im Rahmen der historischen Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche entwickelt habe und insofern eine kollektive religiöse und kulturelle Identität gegenüber anderen religiösen und weltanschaulichen Formen bevorzuge (Willems 2012: 138-140). Willems fordert eine offene Diskussion in der Schieflagen besprochen und eine Kultur der Verständigung etabliert werden könne.

Setzt man in einem solchen Regelungsfall allerdings auf das Mehrheitsprinzip und versucht – etwa durch Volksabstimmungen – neue Steuerungsprinzipien zu schaffen, kann sich diese Absicht ins Gegenteil verkehren und zur Einschränkung von Minderheitenrechten führen. Dieser Fall lässt sich am Schweizer Minarettverbot studieren. Obwohl der Nationalrat mehrheitlich empfohlen hatte, die Kampagne „Gegen den Bau von Minaretten“ abzulehnen und der Bundesrat herausgestellt hatte, dass die Initiative die Glaubens- und Gewissensfreiheit verletze, wies das amtliche Endergebnis eine größere Zustimmungsquote für die Kampagne auf, so dass die Rechte von muslimischen Gläubigen in der Schweiz eingeschränkt wurden.

Die Gefahr solcher gesellschaftlicher Polarisierungsprozesse, die Unruhen auslösen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden können, mag eine Ursache dafür sein, warum die politischen Parteien bislang (auch intern) eine offene Auseinandersetzung über ihre religionspolitische Ausrichtung scheuen. Einzig Bündnis 90/Die Grünen haben mit der Kommission „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“ einen intensiven Arbeitsprozess über die religionspolitische Ausrichtung ihrer Partei initiiert.

Ist die insgesamt zögerliche Bereitschaft der Parteien, eine grundsätzliche Debatte über das gültige Religionsverfassungsrechts zu führen, auch dadurch zu erklären, dass viele Politiker trotz veränderter gesellschaftlicher Realitäten die gültigen Bestimmungen des Religionsverfassungsrechts für gut und ausreichend anschlussfähig bewerten? Auf diesen Erklärungsansatz deuten viele Stellungnahmen sowohl von Politikern als auch von Experten hin. So schreibt Peter Unruh im „Handbuch Bundesverfassungsgericht im politischen System“, dass „[d]as Religionsverfassungsrecht des Grundgesetzes […] nach wie vor ein auch im internationalen Vergleich hohes Integrationspotential zur Verfügung [stellt]“ (Unruh 2015: 761).

Diese Haltung findet sich auch in den untersuchten Wahlprogrammen wieder. So bekennt sich die SPD zu den bestehenden Regelungen und konzentriert sich auf deren Verwaltung. Sie fasst zudem zusätzlich – wie auch die Grünen – ihre Anwendung auf andere Religionen, insbesondere auf die islamische Religion, ins Auge und spricht sich in diesem Zusammenhang für islamische Theologie an staatlichen Universitäten aus.

Bei Bündnis 90/Die Grünen deutet sich überdies, durch die Forderung nach Ablösungen der Staatsleistungen an die Kirchen, eine leichte Tendenz für eine stärkere Separation von Staat und Kirche an. Diese wird im Wahlprogramm jedoch nicht weiter verfolgt.

Anders stellt sich dies im Wahlprogramm der Linkspartei dar. Sie strebt grundsätzliche Änderungen des Religionsverfassungsrechts an und fordert eine stärkere Trennung von Religion und Politik. Hierdurch würde die aktuell praktizierte Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften beendet und durch eine laizistische Trennung der beiden Bereiche ersetzt. Diese Umgestaltung scheint jedoch weniger auf partizipativen Diskussionen, sondern eher auf einem vorgefassten Weltbild zu basieren.

Die FDP sparrt diese Auseinandersetzung im aktuellen Wahlprogramm nahezu vollständig aus.

CDU/CSU klassifizieren die staatliche Zusammenarbeit mit den Kirchen als gewinnbringend, bewerten jedoch die Kooperationen mit Vertretern der islamischen Religion primär als problematisch und konfliktreich. Hierin deutet sich keine Abkehr von der kooperativ ausgerichteten Religionspolitik, sondern vielmehr eine Gefährdung der weltanschaulichen Neutralität des Staates an. Letztere begründet sich dadurch, dass die Unionsparteien eine Unterscheidung zwischen besseren und schlechteren Religionen in ihrem Regierungsprogramm einführen.

Die AfD beschränkt sich in ihrem Wahlprogramm auf die vermeintlich problematischen Auswirkungen der Kooperationen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften. Sie führt diese in Bezug auf die islamische Religion aus. Die AfD stellt hierbei vermeintliche Gefahren im Zusammenhang mit der islamischen Religion heraus und fordert stärkere Restriktionen für die Religionsausübung von Muslimen. Auf diese Weise gibt die AfD das zentrale Prinzip der Religionsfreiheit preis.

Obwohl die Bestimmungen des Religionsverfassungsrechts nicht in allen Wahl- und Regierungsprogrammen explizit befürwortet und in anderen sogar abgelehnt werden, deutet sich in den Parteien kaum eine offene Auseinandersetzung über die grundsätzliche Ausrichtung und die Prinzipien der Religionspolitik in Deutschland an. Eine solche Auseinandersetzung würde nicht notwendigerweise Änderungen der gültigen Regelungen implizieren, sondern könnte auch dazu beitragen, den funktionalen Wert bestehender Prinzipien neu zu erkennen und zu festigen. Ein sachlicher Diskussionsprozess könnte zu mehr Klarheit und Eindeutigkeit in der Religionspolitik beitragen. Dass ein solcher Bedarf existiert, wird an den zahlreichen Problembeschreibungen in den Wahl- und Regierungsprogrammen sowie durch die abweichenden Zielsetzungen der religionspolitischen Agenden der verschiedenen Parteien deutlich. Damit eine solche Diskussion den gesellschaftlichen Frieden und Zusammenhalt sowie die zivilgesellschaftliche Partizipation stärkt, muss der Rahmen für solche Diskussionen sorgsam abgewogen, kooperativ gestaltet und zudem gewährleistet werden, dass gesellschaftliche Minderheiten vor Einschränkungen und Übergriffen durch Mehrheitsbeschlüsse geschützt werden.

 

 

Literatur:

Böckenförde, Wolfgang-Ernst: Notwendigkeit und Grenzen staatlicher Religionspolitik. In: Thierse, Wolfgang (Hg.): Religion ist keine Privatsache, Düsseldorf 2000, 173-184.

Unruh, Peter: Das Bundesverfassungsgericht und das Religionsverfassungsrecht. In: Van Ooyen, Robert Chr./ Möllers, Martin H.W. (Hg.): Handbuch Bundesverfassungsgericht im politischen System, 2. Auflage, Wiesbaden 2015, 759-784.

Willems, Ulrich: Religionsfreiheit und Religionspolitik im Zeitalter religiöser und kultureller Pluralität. Ein Plädoyer für einen neuen religionspolitischen modus vivendi und modus procedendi. In: Bogner, Daniel/ Heimbach-Steins, Marianne (Hg.): Freiheit – Gleichheit – Religion. Orientierung moderner Religionspolitik, Würzburg 2012, 134-151.

Religionspolitik im Bundestagswahlkampf 2017 – Teil 6: Regierungsprogramm der AfD

„Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ (34). Mit dieser Prämisse, welche die ca. 4,4-4,7 Millionen Muslim*innen (BAMF 2016: 5) in der Bundesrepublik Deutschland missachtet, leitet die AfD ihre Religionspolitik ein.

Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung

Die AfD tituliert ihre islampolitische Agenda mit der Überschrift „Der Islam im Konflikt mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ und bewertet die islamische Religion als grundsätzliches Problem für die freiheitlich-demokratische Verfassung.

Die Partei klassifiziert eine wachsende Zahl von Muslim*innen insofern generell als Bedrohung für den Staat, die Gesellschaft und die Werteordnung (34). Die Partei untermauert diese Annahme in ihrem Wahlprogramm durch ein Zitat des verstorbenen Altkanzlers Helmut Schmidt (SPD), der in seinen Memoiren „Außer Dienst“ die steigende Zahl von Muslim*innen im Land als Gefährdung des inneren Friedens bezeichnet hatte.

Gute und schlechte Muslim*innen

Die AfD scheint die pauschale Diffamierung der islamischen Religion und der Muslim*innen im Weiteren durch den Hinweis zu relativieren, dass auch viele rechtstreue und integrierte Muslim*innen in Deutschland leben und angesehene Mitglieder der Gesellschaft sind. Deshalb werde auch nur ein solcher Islam verurteilt wird, der die Rechtsordnung nicht respektiert und einen Herrschaftsanspruch erhebt. Diese Differenzierung zwischen rechtstreuen und rechtsfeindlichen Muslim*innen führt in der weiteren Programmatik jedoch nicht dazu, dass die große, friedliebende Mehrheit der Muslim*innen in Deutschland von einer radikalen, gewaltbereiten Minderheit unterschieden wird.

Einschränkung der Religionsfreiheit

Mit einer ähnlichen Inkonsequenz höhlt die AfD auch das Bekenntnis zur Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit in ihrem Wahlprogramm aus. Sie fordert, dass die freie Religionsausübung „durch staatliche Gesetze, die Menschenrechte und unsere Werte“ (34) eingeschränkt wird. Vor allem die Restriktion durch den Passus „unsere Werte“ eröffnet einen großen Interpretationsspielraum und schmälert vor dem Hintergrund der eingangs pauschal formulierten Diffamierung von Muslim*innen das Vertrauen in die tatsächliche Gewährleistung der Religionsfreiheit für alle Bürger*innen der Bundesrepublik Deutschland.

Die AfD spricht sich zudem dafür aus, das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auch im Bereich religiöser Satire zu schützen und wendet sich dagegen, vermeintlich „rational[e] Religionskritik als ‚Islamophobie‘ und ‚Rassismus‘“ (34) zu bewerten. Sie beurteilt diese Etikettierung als Polemik.

Kulturelle Kampfansagen

Zur Unterbindung des gewaltbereiten Salafismus und Terrorismus will die AfD den Bau und den Betrieb von Moscheen durch verfassungsfeindliche Vereine nach Art 9 Abs. 2 GG sowie die finanzielle Unterstützung von ausländischen Geldgebern untersagen, da „islamische Staaten“ auf diese Weise einen Kulturkrieg führen wollten.

Dieser Annahme begegnet die AfD ihrerseits mit kulturellen Kampfansagen, indem sie das Minarett als islamisches Herrschaftssymbol und den Muezzinruf als „religiösen Imperialismus“ interpretiert und beides vehement ablehnt.

Von Imamen fordert die AfD neben der vorbehaltlosen Anerkennung des Grundgesetztes zudem, dass Predigten in deutscher Sprache abgehalten werden.

Zusätzlich möchte sie Burka und Niqab verbieten, da diese das Zusammenleben in der Gesellschaft erschweren (35).

Keine islamische Theologie

Abweichend von allen anderen Parteien will die AfD islamtheologische Lehrstühle an deutschen Universitäten abschaffen und die Stellen durch eine bekenntnisneutrale Islamwissenschaft ersetzten. Damit verbindet sich der Anspruch, an staatlichen Schulen keinen islamischen Religionsunterricht, sondern bekenntnisfreien Islamkundeunterricht zu etablieren.

Keine Körperschaftsrechte für islamische Organisationen

Die AfD lehnt es zudem grundsätzlich ab, islamischen Organisationen den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verleihen, weil sie auch ohne detaillierte rechtliche Prüfung davon ausgeht, dass keine islamische Organisation die hierfür erforderliche Gewähr der Dauer bezüglich der Verfassung und Mindestmitgliedzahl sowie die erforderliche Rechtstreue erfüllt. Letzteres begründet die AfD durch die Annahme, dass „die Anerkennung der Religionsfreiheit, der weltanschaulichen Neutralität des Staates und der Gleichwertigkeit der Religionen welche das Staatskirchenrecht verlangt, […] dem Islam fremd [sind]“ (35).

Generelles Kopftuchverbot

Unterstützt wird diese Auslegung der islamischen Religion zusätzlich durch die einseitige Interpretation des Kopftuchs als „religiös-politisches Zeichen der Unterordnung von Muslimas unter den Mann“ (35), das die AfD als unvereinbar mit der im Grundgesetz kodifizierten Gleichberechtigung von Mann und Frau bewertet. Deswegen strebt die AfD ein generelles Verbot des Kopftuchs im öffentlichen Dienst an. In Schulen soll das Kopftuchverbot – in Orientierung am laizistischen Modell Frankreichs – allerdings nicht nur für Lehrer*innen, sondern auch für Schüler*innen in Kraft treten (35).

Verbot religiöser Voraustrauungen

Die laizistische Tendenz der Religionspolitik der AfD drückt sich auch beim Eheverständnis der Partei aus. Sie besteht darauf, dass jeder religiösen eine standesamtliche Trauung vorgeordnet sein muss. Die AfD wendet sich auf diese Weise gegen religiöse Voraustrauungen, da diese der AfD-Agenda zufolge Zwang, Polygamie, Kinder- und Verwandtenehen begünstigen können.

Die AfD spricht sich mit diesen Bestimmungen auch gegen die Möglichkeit einer rein kirchlichen Trauungszeremonie aus, wie sie in der katholischen Kirche angeboten wird, obgleich diese vom Staat als rein private Zeremonie betrachtet wird, die nicht mit dem Status einer Zivilehe vergleichbar ist.

Zudem wendet sich die Partei in ihrem Wahlprogramm gegen die Regelung, dass bei im Ausland geschlossenen Ehen, das ausländische und nicht das deutsche Recht angewendet wird.

Resümee: Restriktionen für Muslim*innen

Die religionspolitische Agenda des AfD Wahlprogramms fokussiert primär Veränderungen der aktuellen Islampolitik. Für diesen Bereich sieht die AfD tiefgreifende Umbrüche vor, die zahlreiche Einschränkungen für Muslim*innen beinhalten.

Die politische Agenda der AfD ist tendenziell laizistisch orientiert und offenbart eine ideologisch voreingenommene Haltung gegenüber der islamischen Religion. Auf diese Weise gerät die weltanschauliche Neutralität des Staates in Bedrängnis. Zwar ist der Staat dazu verpflichtet, seine Bürger zu schützten, die Einhaltung der kodifizierten Gesetze zu bewahren und Gesetzesverstöße zu ahnden, er darf dies jedoch nicht aufgrund von Vorannahmen und Vorurteilen tun, die größtenteils auf der Methode beruhen, Einzelfälle als allgemeingültige Regeln zu behandeln und sie auf diese Weise als bestätigende Fakten in ein vorgefasstes Weltbild einzufügen. Ein solches Vorgehen führt zur systematischen Diskriminierung, Benachteiligung und Ausgrenzung von Bürger*innen und verstößt damit gegen das Grundgesetz. Die islampolitische Agenda der AfD, die vermeintlich darauf ausgerichtet ist, Staat und Gesellschaft vor Feinden des Grundgesetzes zu schützen, wird somit selbst zur Bedrohung der freiheitlich-demokratischen Ordnung.

Religionspolitik im Bundestagswahlkampf 2017 – Teil 5: Regierungsprogramm von Bündnis 90/Die Grünen

Die politischen  Positionen von Bündnis 90/Die Grünen bewegen sich zwischen linksorientierten und wertkonservativen Überzeugungen. Um diese innerparteiliche Meinungsvielfalt im Feld der Religionspolitik bewältigen zu können, haben die Grünen im Jahr 2013 eine Kommission „Weltanschauung, Religionsgemeinschaften und Staat“ eingerichtet. Viele Aspekte der religionspolitischen Agenda im Wahlprogramm der Partei lässt sich auf den Abschlussbericht der Kommission aus dem Jahr 2016 zurückführen.

Grünes Leitbild einer offenen Gesellschaft

Bündnis 90/Die Grünen entfalten ihre Religionspolitik vor dem Hintergrund des Leitbildes einer säkularen und offenen Gesellschaft, die unter Wahrung der Grundrechte aller Menschen ein selbstbestimmtes friedliches, respektvolles Zusammenleben in Vielfalt praktiziert. Menschen werden darin weder aufgrund ihrer Herkunft und Kultur noch aufgrund ihrer Religion und Weltanschauung ausgegrenzt (120). Religionen und ihre heiligen Bücher werden in einer solchen offenen Gesellschaft als Quellen für persönliche Wertüberzeugungen geschätzt, dürfen dem Wahlprogramm zufolge aber niemals zur Einschränkung des Grundgesetztes führen (122).
Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften werden von Bündnis 90/Die Grünen allerdings nicht auf solche Gefahrenpotenziale reduziert, sondern potenziell auch als „wichtige Stütze einer lebendigen Demokratie“ (121) ausgezeichnet. Diese Haltung begründet die Partei durch die vielen Menschen, die sich aus ihrem Glauben heraus für „Geflüchtete, eine saubere Umwelt, weltweite Gerechtigkeit oder gegen Armut in ihrer Nachbarschaft“ (121, siehe auch 141) engagieren und auf diese Weise einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt erbringen.

Stärkung des Dialogs zwischen religiösen sowie mit konfessionslosen Bürgern

In einer offenen Gesellschaft muss es dem Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen zufolge allen Menschen möglich sein, ihren Glauben nach ihrem Verständnis zu leben oder abzulegen. Diskriminierungen von Andersgläubigen dürfen ebenso wenig toleriert werden, wie die Bedrohung von Anhängern liberaler Religionsauslegungen (121). Um das gegenseitige Verständnis zu erhöhen, strebt die Partei einen verstärkten Dialog zwischen den Religionen sowie mit religionsfreien Menschen an. Sie setzt damit nicht auf Vorhaltungen, sondern auf Verständigung.
Zudem beabsichtigen die Grünen der wachsenden Vielfalt in der Bevölkerung etwa in der Wohlfahrtspflege sowie in der „öffentlichen Gedenk- und Trauerkultur“ nachzukommen (121). Hierbei wird allerdings nicht expliziert, ob die Partei die Repräsentation von religiöser Pluralität, oder von religionsfreien Personen in der Wohlfahrtspflege und der Gedenk- und Trauerkultur erhöhen möchte. Beides hätte angesichts der zunehmenden Pluralisierung und der wachsenden Zahl von Konfessionslosen Bürger*innen in Deutschland durchaus Berechtigung.

Ablösung der Staatsleistungen

Veränderungen der aktuellen Religionspolitik sieht die Partei insbesondere in Bezug auf die bisherigen Kooperationen zwischen Staat und Kirche vor. So streben Bündnis 90/Die Grünen – wie auch Die Linke – eine Ablösung der historischen Staatsleistungen an die katholische und evangelische Kirche an und fordern mehr Transparenz für kirchliche Finanzen. In diesem Zusammenhang überrascht es jedoch zum einen, dass die Grünen den Antrag der Fraktion Die Linke im Bundestag im März 2017, zur Überprüfung der staatlichen Zahlungen an die Kirchen, nicht mitgetragen, oder einen eigenen Antrag eingebracht haben. Zum anderen erzeugt der Umstand Irritationen, dass sich die Partei angesichts der beabsichtigten Veränderungen in den Kooperationen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften nicht zu den weiteren Aspekten der Kooperation – wie etwa dem Religionsunterricht – positioniert. Für potenzieller Wähler*innen entsteht durch diese Leerstelle ein Raum für Spekulationen und Unsicherheiten.

Abschaffung des Blasphemie-Paragraphen

Ferner sprechen sich Bündnis 90/Die Grüne für eine Abschaffung des sogenannten Blasphemie-Paragraphen §166 STGB aus, da dieser die kritische Kunst, nicht aber die religiösen Fanatiker*innen als Feinde der offenen Gesellschaft markiere. Die Grünen lehnen es insofern ab, satirische Äußerungen über Religionen zu verbieten, die eine öffentliche Unruhe auslösen könnten und fordern stattdessen mehr Toleranz von religiösen Akteur*innen ein, um den gesellschaftlichen Frieden zu bewahren.

Grüne Islampolitik

Zusätzlich zu diesen Aspekten haben Bündnis 90/Die Grünen auch Leitideen für die Islampolitik entwickelt. Diese basieren auf dem Bekenntnis, dass der Islam zu Deutschland gehört (122). Die grüne Politik ist darauf ausgerichtet, zwar die Religionsfreiheit der Muslime zu schützen, aber nicht leichtfertig mit islamischen politischen Organisationen umzugehen. Konkret bedeutet dies, dass sich die Partei für die Ausbildung von islamischen Religionslehrer*innen und Imam*innen ausspricht, damit Muslime ihren Glauben als Teil der offenen Gesellschaft praktizieren können (122). Das schließt auch ein, dass islamische Gemeinschaften als Religionsgemeinschaften und als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt werden, wenn sie die nötigen rechtlichen Voraussetzungen erfüllen (122). Diese Bedingungen werden den Grünen zufolge von den vier großen muslimischen Verbänden der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB), dem Islamrat (IR), dem Zentralrat der Muslime (ZMD) sowie dem Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) bislang allerdings nicht erfüllt, da sie sich nicht durch religiöse Bekenntnisse voneinander unterscheiden, sondern durch politische und sprachliche Identitäten.

Neuorganisationen der Muslim*innen

Die Grünen fordern die Muslim*innen in Deutschland dazu auf, sich bekenntnisförmig neu zu organisieren. Denn nur unter dieser Bedingung könne sich der Anspruch auf rechtliche Gleichstellung realisieren.
Diese grüne Position wurde in den vergangenen Monaten vor allem durch Diskussionsbeiträge des religionspolitischen Sprechers, Volker Beck, öffentlich diskutiert. Mit dieser Programmatik kritisieren die Grünen viele islampolitische Initiativen und Ansätze in Deutschland, stellen ihre Legitimität in Frage und werben für Veränderungen in der Zusammenarbeit zwischen Staat und Muslimen. Sie fordern im Wahlprogramm jedoch keine sofortige Einstellung bisheriger Initiativen, sondern streben einen Umbau der inländischen Strukturen islamischer Verbände an. Dieser solle durch Kooperationen zwischen den Verbänden, den islamischen Gemeinschaften und dem Staat in Form eines regelmäßigen Austauschs erreicht werden. Auf diese Weise wird es theoretisch möglich, bisherige islampolitische Einrichtungen, wie den islamischen Religionsunterricht, für den der Staat einen religiösen Ansprechpartner benötigt, auch unter den Bedingungen einer Neuorganisation von islamischen Religionsgemeinschaften durch Übergangsformen weiterzuführen.

Präventionsprogramme gegen Extremismus

Darüber hinaus sprechen sich Bündnis 90/Die Grünen für Präventionsprogramme gegen Rechtsextremismus sowie gewaltbereiten Islamismus und Salafismus aus. Eine solche Präventionsarbeit müsse durch eine breite Kooperation zwischen Moscheegemeinden, Polizei, Schulen und Jugendhilfen vor Ort erfolgen. All diese Projekte aus den Kommunen, den Ländern und dem Bund sollen in einem bundesweiten Präventionszentrum koordiniert werden. Überdies sollen Deradikalisierungs- und Aussteigerprogramme verstärkt werden (144). Die Grünen begegnen den Phänomen von Extremismus und gewaltbereitem religiösen Fanatismus durch diese Maßnahmen auf konstruktive Weise.

Religionspolitik zwischen Verwaltung und Gestaltung

Die islampolitische Agenda von Bündnis 90/Die Grünen oszilliert zwischen Anerkennung und Kritik sowie zwischen Verwaltung und Gestaltung. Zum einen hebt die Partei im Wahlprogramm die Leistungen religiöser Akteure für den Einzelnen und die Gesellschaft hervor, fokussiert zum anderen aber auch den Schutz des Menschen und der Gesellschaft vor Religionen und Weltanschauungen. Letzteres kommt etwa in der Ablehnung des sogenannten Blasphemie-Paragraphen sowie durch Präventionsprogramme zur Vorbeugung von und dem Umgang mit radikalem Islamismus und Salafismus zum Ausdruck.
Des Weiteren fordern Bündnis 90/Die Grünen Umstrukturierungen in der Islampolitik und stellen die auf wissenschaftlichen Gutachten basierende Anerkennung einiger islamischer Verbände als Religionsgemeinschaften grundsätzlich in Frage. Die Grünen priorisieren den Umbau der islamischen Verbände als bekenntnisförmige Gemeinschaften, da nur auf Basis solcher Umstrukturierungen der Anspruch auf religiöse Gleichberechtigung realisiert werden könne.

Foto: gruene-oberpfalz.de, Rasmus Tanck/gruene.de

Religionspolitik im Bundestagswahlkampf 2017 – Teil 4: Regierungsprogramm der FDP

Die FDP hat sich in ihrer Parteigeschichte bislang mehrfach als vehemente Kritikerin der Kooperationsvereinbarungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften hervorgetan. Im aktuellen Programm für die Bundestagswahlen 2017 plant die Partei der Freien Demokraten jedoch keine elementaren Einschnitte in der Religionspolitik. Stattdessen fokussieren die Freien Demokraten in ihrem Wahlprogramm Angriffe auf ihr vorderstes Prinzip – die Liberalität.

Abschaffung des Blasphemie-Paragraphen

Die FDP fordert von allen Religionsgemeinschaften die uneingeschränkte Anerkennung der gesellschaftlichen Freiheitlichkeit und Toleranz. Die Partei übersetzt diese Forderung in die Abschaffung des Blasphemie-Paragraphen166 StGB, da sie diesen als Toleranz von Intoleranz bewertet (42). Zwar werden Schmähungen religiöser Personen bzw. Andersgläubiger als potenzielle Gefährdungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt eingestuft, allerdings könne damit kein generelles gesetzliches Verbot in Form des Blasphemie-Paragraphen gerechtfertigt werden.

Dagegen wird die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, wie sie etwa im Antisemitismus und in der Islamfeindlichkeit praktiziert wird, zurückgewiesen. Allerdings erörtert die FDP in ihrem Wahlprogramm nicht, wie das eine vom anderen im Zweifelsfall zu unterscheiden ist.

Ausländische Einflussnahme auf religiöse Vereine und Verbände wird nicht toleriert

Die FDP lehnt zudem all jene religiösen Formen und Verhaltensweisen ab, die nicht mit der Ordnung des Grundgesetztes übereinstimmen. Hierzu zählt sie sowohl religiösen Fundamentalismus als auch die „Einflussnahme aus dem Ausland durch die Finanzierung religiöser Vereine und Einrichtungen“ – zum Beispiel durch die Türkei oder Saudi-Arabien (43). Diese Position hat die FDP bereits in den Verhandlungen über einen Vertrag zwischen der niedersächsischen Landesregierung und den muslimischen Verbänden eingenommen und sich aufgrund der Frage, wie abhängig die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB) von der Erdogan-Regierung ist, davon zurückgezogen.

Die Konsequenzen, die sich hieraus perspektivisch für die Zusammenarbeit von Staat und islamischen Verbänden ergeben, werden nicht erörtert. Aufgrund der ablehnenden Haltung, welche die FDP etwa in Bezug auf die Hamburger Verträge mit islamischen Verbänden eingenommen hat, bleibt anzunehmen, dass die Freien Demokraten die Kooperationen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften insgesamt eher einschränken und nicht ausbauen werden. 

Recht auf Religionsfreiheit

Grundsätzlich spricht sich die FDP jedoch deutlich für die Anerkennung des Rechts auf Religionsfreiheit und für die Gleichbehandlung von Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften aus, da es zur „Freiheit des Einzelnen gehör[e] die Suche nach dem Sinn und den Werten des eigenen Lebens, die viele Menschen in ihrer persönlichen Glaubensüberzeugung und Weltanschauung finden“ (43) nachzugehen. Deshalb lehnt die FDP in ihrem Wahlprogramm ein Verbot der freiwilligen Verschleierung ab. Ausnahmen müssen jedoch für Einzelfälle, beispielsweise für die Identifizierung von Personen, eingeräumt werden. Für den Fall einer unfreiwilligen Verschleierung sowie für Fälle häuslicher Gewalt fordert die FDP zudem einen konsequenteren Schutz von Betroffenen.

Keine deutsche Leitkultur

Im Wahlprogramm wird zudem ausgeführt, dass die Religionsfreiheit allen Bürger*innen im Rahmen der „Ordnung des Grundgesetzes“ (42) das Recht auf religiöse und kulturelle Entfaltung garantiert – unabhängig von Religion und Weltanschauung. Die FDP lehnt aus diesem Grund die Fixierung einer deutschen Leitkultur, durch welche „eine Mehrheit versucht, dem einzelnen Individuum ihre Kultur aufzuzwingen“ (42) ab. Die Freien Demokraten fordern stattdessen auch für solche kulturellen Praktiken Toleranz, die von der Mehrheitsgesellschaft abweichen, solange diese mit dem Grundgesetz kompatibel sind. Damit wendet sich die FDP gegen den von CDU/CSU eingeführten Versuch, kulturelle Eigenheiten zu fixieren und sie als verpflichtende Integrationsrichtlinien festzusetzen.

Keine Akzeptanz für Feinde der freiheitlich- demokratischen Ordnung

Alle Praktiken und Überzeugungen die mit der freiheitlichen, demokratischen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht vereinbar sind, sollen hingegen bekämpft werden. Im Wahlprogramm manifestiert sich diese Haltung am deutlichsten im Umgang mit dem radikalen, gewaltbereiten Salafismus. Die FDP will eine Strategie zwischen „Repression und Prävention“ (65) etablieren.

Hierfür will die Partei zum einen mit solchen Muslimen und islamischen Verbänden kooperieren, die Gewalt, Intoleranz und religiösen Extremismus ablehnen. Zum anderen sollen gewaltbereite Salafisten konsequent vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Der Rechtsstaat müsse gegen identifizierte Personen und/oder Gruppen mit all seinen Mitteln (etwa „Versammlungs- und Vereinsverbote, konsequente Strafverfolgung, Aus- und Wiedereinreisebeschränkungen für Gefährder sowie deren gezielte Überwachung, beispielsweise mittels elektronischer Fußfessel“ [65])  vorgehen. Zudem müsse salafistischer Propaganda stärker durch präventive Maßnahmen begegnet werden. Die FDP schlägt im Wahlprogramm vor, die Ausbildung von Multiplikatoren und Fachkräften auszubauen und die Aufklärungsarbeit in den sozialen Medien zu verstärken (65).

Religionspolitik nicht als Wahlkampfthema

Insgesamt lässt sich konstatieren, dass der Religionspolitik im Wahlkampf der FDP eine untergeordnete Bedeutung zukommt, da die Partei in ihrem Wahlprogramm keine grundsätzlichen, strukturellen Änderungen formuliert. Sie entwickelt ihre religionspolitischen Impulse vor allem als Reaktion auf die von ihr konstatierten Angriffe auf die Liberalität. Insofern setzt sich die FDP sowohl gegen eine Einschränkung der Religionsfreiheit  – etwa durch Bekleidungsverbote – als auch gegen Restriktionen der Freiheit zur Religionskritik und -diffamierung durch den Blasphemie-Paragraphen ein.

Die Kooperationen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften werden im Programm nicht erörtert. Konzepte für eine verbesserte Integration der islamischen Religion in die religionspolitischen Strukturen Deutschlands werden nicht vorgestellt. Allerdings wird die Zusammenarbeit des Staates mit islamischen Religionsgemeinschaften und Verbänden durch den kritischen Hinweis thematisiert, dass die Einflussnahme aus dem Ausland durch die Finanzierung religiöser Vereine und Einrichtungen nicht toleriert wird. Insgesamt deutet sich im Programm die Tendenz an, dass die FDP die Gleichberechtigung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nicht durch die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Staat und Religionsgemeinschaften ins Auge fasst.

Bildquelle: Flickr, https://www.flickr.com/photos/liberale/35683279202/

Religionspolitik im Bundestagswahlkampf 2017 – Teil 2: Regierungsprogramm der SPD

Im TV-Duell hat der Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, die Position vertreten, dass die islamische Religion als eine Religion neben anderen in Deutschland behandelt werden sollte. Demnach müsste die SPD ihre Islampolitik primär als Religions- und weniger als Immigrations- und Sicherheitspolitik konstituieren.

Zugleich hat Schulz gefordert, Hassprediger zu stoppen und entsprechende Moscheen zu schließen. Durch eine Analyse der Religionspolitik im SPD-Regierungsprogramm kann überprüft werden, ob die Angaben aus dem TV-Duell mit dem Programm übereinstimmen und zudem herausgestellt werden, welche religionspolitische Agenda die SPD für die kommende Legislaturperiode vertritt.

Im Regierungsprogramm findet sich kein separater Abschnitt zur Religionspolitik. Der Aspekt „Religion“ wird in verschiedenen Teilabschnitten thematisiert.
So werden in dem Oberkapitel „Es ist Zeit für eine offene und moderne Gesellschaft“ die Leistungen „vieler Freiwilliger, aber auch von Menschen in Verwaltung, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Initiativen und Vereinen“(79) gerade in Bezug auf die Aufnahme und den Umgang von neu hinzugezogenen Personen in Deutschland würdigend hervorgehoben und zudem ihr Engagement gegen Rassismus als wichtige Leistungen für die Gesellschaft klassifiziert (Seite 79f.).

Integration und Teilhabe

In dem Unterkapitel „Integration und Teilhabe – die deutsche Einwanderungsgesellschaft gestalten“ wird der interreligiöse Dialog ausgezeichnet, da er das Wissen über Religionen sowie Begegnungen zwischen verschiedenen Religionen fördere und auf diese Weise das respektvolle gesellschaftliche Miteinander stärke. Im SPD-Regierungsprogramm werden allerdings nicht nur Möglichkeiten positiv hervorgehoben, Wissen über andere Religionen erlangen zu können, sondern auch Gelegenheiten eingefordert, um die eigene Religion besser verstehen und einen aufgeklärten Umgang mit ihren Inhalten und Praktiken ausüben zu können. Aus diesem Grund wird im SPD-Regierungsprogramm der Religions- und Ethikunterricht befürwortet und zudem explizit ein „islamische[r] Religionsunterricht an staatlichen Schulen und in deutscher Sprache“ (Seite 88) hervorgehoben. Die hierfür benötigten Religionslehrer*innen sowie auch die Imame sollen an deutschen Lehrstühlen ausgebildet werden (anders als die Religionslehrer*innen werden Imame im SPD-Regierungsprogramm nur im Maskulinum aufgeführt, so dass die Ausbildung von weiblichen Imaminnen nicht anvisiert wird). Die Etablierung von Ethik- und (islamischem) Religionsunterricht wird in diesem Abschnitt des SPD-Regierungsprogramms primär durch die ihm attestierte funktionale Wirkung – religiösem Extremismus entgegenzuwirken – begründet.

Islam gehört zu Deutschland

An diese Passage schließt sich im Wahlprogramm die explizit artikulierte Auffassung an, dass sowohl die Muslime als auch der Islam zu Deutschland gehören und die Partei die organisatorische Entwicklung von muslimischen Gemeinden und Organisationen unterstützt, wenn sich diese nach deutschem Recht organisieren und die freiheitlich-demokratische Grundordnung achten. Zudem wird befürwortet, dass ihnen „auch die Möglichkeiten unseres bewährten Religionsverfassungsrechts offen[stehen]“ (88).

Damit wird etwa die potenzielle Anerkennung von muslimischen Verbänden als Körperschaften des öffentlichen Rechts, wenn sie die notwendigen Bedingungen – über eine Gewähr der Dauer in Bezug auf ihre Verfassung und ihre Mitglieder sowie die ungeschriebene Vorschrift der Rechtstreue – aufweisen, befürwortet.

Terrorabwehr und Präventionsarbeit

Unter dem Abschnitt „Terrorabwehr – mehr grenzübergreifende Zusammenarbeit und Prävention“ wird zudem eine „Null-Toleranz-Politik gegenüber Hasspredigern und Islamistinnen und Islamisten“ (70f.) angekündigt. Dies bedeutet, dass die SPD radikale Moscheen schließen und ihre Finanzierungen beenden will. Neben solchen restriktiven Maßnahmen setzt sie zusätzlich auf Präventionsarbeit, die gemeinsam mit Moscheeverbänden und islamischen Organisationen erfolgen soll.

Keine grundlegenden Änderungen in der Religionspolitik

Im Regierungsprogramm der SPD werden kaum Anschauungen für eine übergeordnete Religionspolitik entwickelt. Dies deutet darauf hin, dass die Partei keinen Bedarf für grundsätzliche, religionspolitische Modifikationen sieht, sondern die gültigen Bestimmungen als geeignete Basis für den Umgang mit der zunehmenden Diversifizierung der religiösen Landschaft der Bundesrepublik Deutschland sowie der steigenden Zahl von konfessionslosen Bürgern bewertet. Die Zurückhaltung deutet zudem darauf hin, dass die SPD Religionspolitik in ihrem Regierungsprogramm nicht als Wahlkampfthema bestimmt.

Zwar widmet die Partei einige Passagen ihres Regierungsprogramms der Darstellung ihrer zukünftigen Islampolitik, allerdings werden darin primär richtungsweisende Impulse – wie die Anerkennung des Islams als Teil Deutschlands sowie die Anwendung der religionsverfassungsrechtlich kodifizierten Kooperationsformen zwischen Staat und Religion auf islamische Religionsgemeinschaften – aufgeführt, ohne allerdings konkrete Lösungsansätze für akute Problemlagen – wie etwa die Imamausbildung in Deutschland – zu skizzieren.

Die grundsätzliche politische Stoßrichtung des SPD-Programms zielt auf die Bewahrung der bestehenden Ordnung und deren konsequenterer Anwendung auf andere Religionen. Der Islam wird vorrangig als Aspekt der Religionspolitik thematisiert, so dass das Regierungsprogramm mit Schulz’ Position im TV-Duell übereinstimmt.

Für ein Programm, das als Regierungsprogramm firmiert, mangelt es allerdings an Konkretion und Visionen. Gerade der Bereich der Islampolitik bedarf, besonders angesichts einer sich zuspitzenden Problematik in der Zusammenarbeit zwischen Staat und islamischen Verbänden, mehr als nur einer Bestandssicherung.

Bildquelle: PDF „Zeit für mehr Gerechtigkeit. Unser Regierungsprogramm – in 1 Minute“, www.spd.de

Religionspolitik im Bundestagswahlkampf 2017 – Teil 1: Regierungsprogramm von CDU/CSU

Für die anstehenden Bundestagswahlen im September haben alle Parteien in den vergangenen Wochen Wahlprogramme veröffentlicht, in denen sie ihre Pläne und Vorstellungen für die kommende Legislaturperiode abgebildet haben. Die Parteien beschäftigen sich darin auch mit dem Aspekt „Religion“ und erläutern ihre Pläne zur Religionspolitik. In einer wöchentlichen Artikel-Serie zum Bundestagswahlkampf 2017 werden hier die Positionen zum Umgang mit Religion analysiert und miteinander in Beziehung gesetzt. Auf diese Weise werden Differenzen und Gemeinsamkeiten zwischen den Parteien sowie die religionspolitische(n) Stoßrichtung(en) des aktuellen Wahlkampfes aufgezeigt. Die Serie startet mit einer Analyse der Religionspolitik in dem Regierungsprogramm von CDU/CSU.

Religionspolitik im Regierungsprogramm von CDU/CSU

Die Unionsparteien erläutern ihre Religionspolitik in dem Regierungsprogramm unter der Überschrift „Was unser Land zusammenhält“ und ordnen sie somit grundsätzlich in einen positiven Zusammenhag ein. Der entsprechende Abschnitt zu „Christliche Kirchen und Religionsgemeinschaften“ wird mit einem klaren Bekenntnis zum Grundrecht auf Religionsfreiheit eröffnet. Religionsfreiheit wird im Programm zwischen zwei Polen verortet: Auf der einen Seite wird die Trennung von Staat und Religion als grundlegendes Prinzip der Beziehung der beiden Bereiche bestätigt. Auf der anderen Seite wird den Religionsgemeinschaften zugesichert, dass sie einen festen Platz in der Gesellschaft einnehmen. Das Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften wird somit als hinkende Trennung bestimmt.

Diese sichere Position der Religion in Deutschland erklären die Unionsparteien zum einen durch das christlich-jüdische Erbe, das Deutschland gemeinsam mit der Aufklärung bis heute entscheidend präge. Durch diesen Passus wird zwar sowohl die Bedeutung von der christlichen und jüdischen Religion für die Identität Deutschlands hervorgehoben, zugleich wird die Beziehung zwischen Staat und Religion durch den Rekurs auf die Aufklärung aber auch als eine durch die Vernunft bestimmte definiert.

Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Parteien die Wertschätzung von Religion nicht allein durch Tradition und Identität, sondern auch durch funktionale Argumente begründen. So führen die Unionsparteien in ihrem Programm aus, dass „die christlichen Kirchen seit Jahrzehnten einen unverzichtbaren Beitrag zum geistigen Leben in Deutschland und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt [leisten]. In kirchlichen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, in der Kranken- und Altenpflege, in der Jugendarbeit und in vielen anderen Bereichen. Der großartige Einsatz kirchlich engagierter Menschen bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise ist dafür ein eindrucksvolles Beispiel“ (Seite 73).
Auffällig an dieser Begründungslinie ist jedoch, dass ausschließlich auf die besonderen Leistungen der christlichen Kirchen Bezug genommen, andere Religionen jedoch nicht thematisiert werden. CDU/CSU scheinen die besondere Bedeutung von Religion für die Gesellschaft somit primär aus der christlichen Religion abzuleiten bzw. darauf zu beschränken. Diese Position lässt ihre Haltung zur weltanschaulichen Neutralität des Staates fragwürdig erscheinen.

Diese Wertschätzung findet ihren Ausdruck im Weiteren sowohl in dem Bekenntnis, dass die Union „auch künftig die Arbeit der Kirchen in vielfältiger Weise unterstützen“ wird (Seite 73) als auch in der Absichtserklärung, dass die internationale Christenverfolgung in der kommenden Legislaturperiode durch einen Sonderbeauftragten der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit fokussiert wird.

Im darauffolgenden Abschnitt wird der eingangs eingeführte Aspekt der Religionsfreiheit noch einmal aufgenommen und detaillierter erläutert. Als klare Grenze der Religionsfreiheit werden die Bestimmungen der deutschen Rechtsordnung benannt. Insofern besitzen alle Menschen einen Anspruch auf Religionsfreiheit, solange ihre Religiosität mit den gültigen Gesetzen kompatibel ist.

An diese Bestimmungen binden die Unionsparteien in ihrem Regierungsprogramm auch den interreligiösen Dialog an, den sie mit einer positiven Funktion für die deutsche Gesellschaft assoziieren und somit durch ein funktionales Argument plausibilisieren.

 Nüchterne Bilanz der Deutschen Islam Konferenz

Im Anschluss an den Passus zur Religionsfreiheit wird dann ein separater Abschnitt zur islamischen Religion in das Programm integriert. Die Parteien heben hervor, dass „die in Deutschland lebenden Muslime mit ihren Ideen und ihrer Arbeit seit langem zum Erfolg unseres Landes bei[tragen] und deshalb zu unserer Gesellschaft [gehören]“ (Seite 73).
Auffällig an dieser Passage ist, dass die umstrittene Aussage des ehemaligen Innenministers, Hans-Peter Friedrich, dass zwar Muslime, nicht aber der Islam zu Deutschland gehören, implizit aufgenommen und bestätigt wird – da zwar die Zugehörigkeit der Muslime, nicht aber der islamischen Religion zu Deutschland affirmiert wird.

Zusätzlich wird die Deutsche Islam Konferenz (DIK) als staatlich initiiertes Dialogforum mit „hier lebenden Muslimen und ihren Organisationen“ (Seite 73) aufgeführt. Anstatt die erzielten Ergebnisse der DIK zu würdigen, werden im aktuellen Programm jedoch Erfolge eingefordert. Diese werden an drei Punkten bemessen: 1. Mit staatlicher Hilfe soll sich ein friedlicher und integrationsbereiter Islam nach den Vorgaben des Grundgesetztes so organisieren, dass er dem Staat ein Verhandlungs- und Dialogpartner ist. 2. Es muss gemeinsam gegen „Hass, Gewalt, Terrorismus und Unterdrückung“ (Seite 74) vorgegangen werden. Moscheen in denen Hassprediger und Salafisten auftreten, müssen geschlossen und die betreffenden Akteure mit aller Härte des Gesetzes verfolgt werden. 3. Es wird eine politische Einflussnahme aus dem Ausland zurückgewiesen.

Diese Eckpunkte offenbaren eine sehr nüchterne Bilanz von elf Jahren Deutscher Islam Konferenz. Denn bereits 2006 wurde die Organisation der Muslime in Deutschland als Kooperationspartner für den Staat als ein wesentlicher Schwerpunkt der DIK fixiert. Bis heute ist dies aufgrund der starken innerreligiösen Pluralität der islamischen Religion und seiner vom Christentum differierenden Organisationsformen nicht geglückt. Stattdessen wurden Übergangsmodelle initiiert, durch die Projekte wie die islamische Theologie an staatlichen Universitäten und der islamische Religionsunterricht an staatlichen Schulen eingeführt werden konnten. Das aktuelle Regierungsprogramm hebt diese Ergebnisse, die von der DIK entscheidend vorangetrieben wurden, nicht als Erfolge hervor, sondern fokussiert stattdessen erneut auf die Diskussionsaspekte von 2006.

Die Punkte 2. und 3. belegen zudem, dass die Passagen zur Islampolitik stark von den aktuellen Diskussionen über islamistischen Terrorismus und die Bedrohung durch salafistische Theologien sowie durch die Affären um die Türkisch Islamische Anstalt für Religion e.V. (DITIB) geprägt sind. Das Programm gibt jedoch keine Lösungsvorschläge für diese Problematiken vor, sondern stellt stattdessen Richtlinien für eine Zusammenarbeit auf, die dem Wähler zeigen sollen, dass die Parteien in diesem Bereich mit einer deutlicheren Härte zu agieren beabsichtigen.

Dass hierdurch primär Stimmungen befriedigt, jedoch keine Lösung angeboten werden, mag in einem Programm, das nicht nur als Wahl- sondern als Regierungsprogramm etikettiert wird, ebenso sehr zu verwundern wie der Umstand, dass nach elf Jahren Deutscher Islam Konferenz unter Unionsführung keine Ergebnisse dieses Prozesses ausgewiesen werden, sondern stattdessen eine Rückkehr zu den anfänglichen Fragestellungen vorgenommen wird.

Ambivalente Religionspolitik

Insgesamt lässt sich somit eine gewisse Ambivalenz in der Religionspolitik der Unionsparteien verzeichnen. Während die Kooperationen mit den Kirchen als gewinnbringend charakterisiert und eine weitere Zusammenarbeit uneingeschränkt befürwortet wird, bewerten die Unionsparteien die Zusammenarbeit mit den Muslimen als weitgehend problematisch. CDU/CSU halten zwar an einer Zusammenarbeit zwischen Staat und Muslimen in Deutschland fest, sie greifen aber nicht auf ihren Erfahrungsschatz aus elf Jahren Deutscher Islam Konferenz zurück, um konstruktive Lösungsansätze für akute Probleme zu entwickeln, sondern fokussieren sich stattdessen auf die reine Beschreibung von Konfliktlinien und zeigen Parteiprinzipien für den Umgang damit auf.

Foto: Pressekonferenz von Angela Merkel und Horst Seehofer zur Verkündung des Regierungsprogramms am 03.07.17 in Berlin im Konrad-Adenauer-Haus nach einer gemeinsamen Sitzung von CDU und CSU. / Fotograf: Tobias Koch (tobiaskoch.net)