NRW schafft neues Format für Islampolitik

Die schwarz-gelbe Landesregierung in NRW hat eine Neuausrichtung der Islampolitik angekündigt. Die Regierungsparteien hatten bereits 2017 im Koalitionsvertrag erklärt, dass die Islampolitik der Vorgängerregierung gescheitert sei und ein neues Format etabliert werden solle. Unter der rot-grünen Landesregierung war 2013 das „dialog forum islam“ (dif) initiiert wurden, in dem die Landesregierung einen regelmäßigen Austausch mit den Islamverbänden DİTİB, Verein Islamischer Kulturzentren (VIKZ), Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (IRD), Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) sowie mit dem alevitischen Dachverband AABF pflegte. Dieses Format wurde von der neuen Landesregierung durch eine Struktur ersetzt, die auf die Repräsentation der religiösen und organisatorischen Vielfalt der Muslime in NRW zielt. Hierzu wurde eine Koordinierungsstelle „Muslimisches Engagement in NRW“ eingerichtet, die im Ministerium für Kinder, Familien, Flüchtlinge und Integration (MKFFI) angesiedelt ist und durch zwei neu eingerichtete Planstellen realisiert werden soll.

Die Koordinierungsstelle beabsichtigt, viele muslimische Akteure einzubinden und auch „liberalen und weltoffenen Muslimen“ eine Plattform zu bieten, die über einen rein formalisierten Dialog hinausgeht, praxisorientierter arbeitet, die Lebenswirklichkeit von Muslimen in den Blick nimmt und innermuslimische Aushandlungsprozesse stärkt. Zudem sollen gesamtgesellschaftliche Entwicklungen beleuchtet, Expertenwissen eingebunden, die Projekte gefördert werden, die muslimisches Empowerment vor allem auch auf kommunaler Ebene fördern und Vernetzung ermöglichen.

Die Koordinierungsstelle setzt sich aus drei verschiedenen Bereichen zusammen: dem Forum muslimische Zivilgesellschaft, dem Expertenrat und dem Projektmanagement. Das Forum muslimische Zivilgesellschaft soll die muslimische Vielfalt abbilden und die Interessen der Muslime gegenüber Politik, Medien und Gesellschaft vertreten. Hierzu wird offen eingeladen. Der Expertenrat entwickelt Handlungsempfehlungen für die Landesregierung, die jedoch weder rechtlich bindend sind noch den Anspruch erheben, die Meinungspluralität aller Musliminnen und Muslime in NRW abzubilden. Im Bereich des Projektmanagements werden Projekte gefördert, die für Professionalisierungsprozesse, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit genutzt werden sollen.

Die große Herausforderung dieses vielversprechenden Formats besteht insbesondere in der innermuslimischen Verständigung und Zusammenarbeit. Die Regierung hat versucht, die verschiedenen muslimischen Verbände in Vorgesprächen zum Dialog und zur Zusammenarbeit zu ermutigen. Hierzu wurden neben den Verbänden des Koordinierungsrat der Muslime (KRM) auch der Liberal-islamische Bund (LIB), die Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands (IGS), die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland (IGBD), die Union der Islamisch-Albanischen Zentren in Deutschland (UIAZD), das Bündnis Marokkanische Gemeinde (BMG) und die Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) an einem Tisch versammelt. Besonders kontrovers wurde in den Vorgesprächen die Zusammensetzung des Expertenrates diskutiert – was naheliegt, da über dieses Format der stärkste Einfluss auf die Landesregierung ausgeübt werden kann. 

Neben diesem neuen Format zum innermuslimischen und interreligiösen Dialog und zu dem zwischen muslimischen und staatlichen Akteuren wird gegenwärtig auch die Neustrukturierung des islamischen Religionsunterrichts in NRW intensiv diskutiert. Der Beirat, der bislang als Ersatz für den fehlenden repräsentativen Ansprechpartner auf muslimischer Seite fungierte und neben muslimischen auch mit staatlichen Vertretern besetzt war, soll durch eine Kommission abgelöst werden. An dieser Kommission sollen alle landesweiten verfassungstreuen muslimischen Zusammenschlüsse teilnehmen können. Staatliche Vertreter sollen nicht mehr einbezogen werden. Die Struktur des Kommissionsmodells für den Religionsunterricht scheint an der Zusammensetzung des Forums der neuen Koordinierungsstelle orientiert zu sein. 

Die islamischen Verbände des Beirats lehnen den neuen Vorschlag ab und treten dafür ein, die bisherige Übergangslösung durch eine Überführung in den Regelbetrieb abzulösen, der darauf basiert, dass Verbände als Religionsgemeinschaften anerkannt werden und Religionsunterricht anbieten können (vgl. IRD: Stellungnahme zum 14. Schulrechtsänderungsgesetz [A 15 -IRU- 28.05.2019]) (der entsprechende Antrag von ZMD und IRD wurde vom Oberverwaltungsgericht [OVG] Münster 2017 zunächst abgelehnt. Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht das entsprechende Urteil aufgehoben und den Fall an das OVG Münster zurückverwiesen).

Experten befürchten, dass die Zustimmung zum Religionsunterricht in der muslimischen Community sinken könnte, wenn die Verbände nicht mehr ausreichend Gewicht bei der Gestaltung bekämen. Die muslimischen Verbände sehen in der neuen Kommission zudem eine unzulässige Einflussnahme des Staates auf die Angelegenheiten der islamischen Religionsgemeinschaften. Die neue Kommission kann jedoch auch gerade als Möglichkeit betrachtet werden, den staatlichen Einfluss auf den islamischen Religionsunterricht zu minimieren und die Pluralität der islamischen Positionen und Theologien stärker abzubilden. Zu klären ist allerdings, wie eine konstruktive Zusammenarbeit in einer solchen Kommission realisiert und die Arbeitsfähigkeit des Gremiums gewährleistet werden kann.

Dr. Hanna Fülling

Bericht des Ministers für Kinder, Familien, Flüchtlinge und Integration (MKFFI) am 3. April 2019

IRD: Stellungnahme zum 14. Schulrechtsänderungsgesetz (A 15 -IRU- 28.05.2019)

Erstmalig veröffentlicht auf: www.ezw-berlin.de

Die Deutsche Islam Konferenz – Religion, Politik und Integration

Am 28./29. November 2018 hat das Bundesinnenministerium (BMI) die vierte Deutsche Islam Konferenz (DIK) eröffnet. Der Gastgeber Horst Seehofer begrüßte die Teilnehmenden mit einer Grundsatzrede, in der er die Agenda für die vierte Islamkonferenz in der Fragestellung zusammenfasste, wie es gelingen könne, einen Islam in Deutschland zu fördern, „der in unserer Gesellschaft verwurzelt ist, die Werte unseres Grundgesetzes teilt und die Lebensarten dieses Landes achtet – einen Islam in, aus und für Deutschland, einen Islam der deutschen Muslime“1. Hierzu hat Seehofer viele verschiedene Akteure eingeladen, die den Islam bzw. den Islamdiskurs in Deutschland beeinflussen. Das BMI hat auf diese Weise versucht, die Pluralität des Islam in Deutschland möglichst umfassend abzubilden und miteinander ins Gespräch zu bringen. Im Mittelpunkt der DIK IV sollen alltagspraktische Fragen des Zusammenlebens stehen.

Einige dieser Ideen knüpfen stark an vorangegangene Formate der DIK an, andere weichen explizit davon ab. Die aktuelle DIK bewegt sich zwischen Kontinuität und Wandel. Was sagt diese Ausrichtung über die Entwicklung der Islampolitik in Deutschland? Welche Fortschritte lassen sich beobachten? Welche Lernprozesse sind zu erkennen? Inwiefern haben sich die Bedingungen verändert und wo sind Stagnationen oder gar Rückschritte zu erkennen? Und zuletzt: Auf welchen Leitideen basieren die Konferenzen?

Zur Klärung dieser Fragen bedarf es einer Rückschau auf die Entwicklung der Deutschen Islam Konferenz von 2006 bis heute. Hierzu werden im Folgenden die vier Phasen der DIK hinsichtlich ihrer Strukturen, ihrer personellen Zusammensetzung sowie ihrer Zielsetzungen und Ergebnisse beleuchtet und in Beziehung zueinander gesetzt.

DIK I (2006 – 2009) – Aufbruch zur Religionspolitik

Die Einberufung der DIK im Jahr 2006 kann als eine Wende der deutschen Religionspolitik betrachtet werden. Schien die Politik jahrzehntelang mehrheitlich von der Auffassung geleitet, dass mit dem Art. 4 GG, dem Art. 7 GG und den Art. 136-141 der Weimarer Reichsverfassung (WRV), die in Art. 140 GG inkorporiert wurden, alle notwendigen Regelungen zur Religionspolitik erfolgt seien, änderte sich diese Einschätzung mit Beginn des 21. Jahrhunderts nach und nach. Nachdem in der Politik anerkannt wurde, dass Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist, sich das religiöse Feld nachhaltig pluralisiert hat und Religion spätestens seit dem 11. September 2001 wieder zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, wurden religionspolitische Herausforderungen in der Politik wieder stärker wahrgenommen. Eine Reaktion darauf war die Einberufung der Deutschen Islam Konferenz im Jahr 2006. Sie wurde im Referat M II 3 „Interkultureller Dialog und Deutsche Islam Konferenz“ in der Abteilung „Migration, Integration, Flüchtlinge und Europäische Harmonisierung“ des Bundesinnenministeriums eingerichtet.

Die strukturelle Einbindung der DIK zeigt, wie diese neue Form der Religionspolitik in Deutschland verstanden wurde: Sie wurde nicht ausschließlich von Überlegungen zur religionspolitischen Integration geleitet, sondern von umfassenden Integrationsbemühungen sowie von sicherheitspolitischen Erwägungen.

Sie fand auf Initiative und unter Leitung des BMI statt. Der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble formulierte als Aufgabenstellung der DIK die Suche nach „Lösungen der Probleme des Zusammenlebens gemeinsam und im Dialog mit den in Deutschland lebenden Muslimen“2. Die DIK wurde als ein „Problembearbeitungsinstrument, für das der Modus der Verhandlung zentral ist“3, konstituiert. Das BMI legte in der DIK I die Teilnehmenden, die Struktur und die thematische Agenda fest. Das repräsentative Plenum wurde mit 15 staatlichen und 15 muslimischen Akteuren besetzt. Die staatlichen Vertreter setzten sich aus Kommunal-, Landes- und Bundespolitikern zusammen. Die Besetzung aufseiten der Muslime stellte von Beginn an eine große Herausforderung dar, da die Frage, wer die Muslime in Deutschland repräsentiert, unterschiedlich beantwortet wurde und bis heute kontrovers diskutiert wird. Schäuble entschied sich dafür, die Muslime in Deutschland durch verbandlich organisierte Akteure sowie durch nichtverbandlich organisierte muslimische Einzelpersonen abzubilden. 5 der 15 muslimischen Teilnehmenden wurden mit Mitgliedern der Verbände (DİTİB, ZMD, VIKZ, IRD und AABF) besetzt, die anderen zehn besetzte Schäuble durch „Vertreter der nicht organisierten Muslime …, die die verschiedensten Facetten der muslimischen Lebenswirklichkeit in Deutschland repräsentieren sollten“4. Er begründete diese Einladungspolitik mit einer Erhebung, der zufolge lediglich 15 bis 20 % der Muslime in Deutschland durch die islamischen Verbände repräsentiert werden.

Diese Einladungspolitik war von Anfang an umstritten und wurde vor allem von den islamischen Verbänden als unzulässige Einmischung des Staates in die Entwicklung des Islam in Deutschland aufgefasst. Es wurde kritisiert, dass sich der Staat einen „Wunschislam“ zusammenstelle und damit seine Neutralitätspflicht verletze. Trotz dieser Kritik nahmen auch die Vertreter der muslimischen Verbände an der Konferenz teil und bearbeiteten in Arbeitsgruppen und einem Gesprächskreis gesellschaftspolitische, religionspolitische, integrationspolitische und sicherheitspolitische Fragestellungen.

Die AG 1 diskutierte die deutsche Gesellschaftsordnung, formulierte einen Wertekonsens und prüfte dessen praktische Verwirklichung. In der AG 2 wurden Religionsfragen vor dem Hintergrund des deutschen Verfassungsverständnisses diskutiert. Dort wurde etwa der rechtliche Umgang mit Normen der Scharia beraten, die Ausbildung von islamischen Religionsbediensteten, die Etablierung von islamischer Theologie an deutschen Universitäten sowie die Handhabung schulpraktischer Fragen, etwa bezüglich Kleidungsvorschriften im Sport- und Schwimmunterricht, der Teilnahme an Klassenfahrten sowie des Umgangs mit religiösen Feiertagen. Die AG 3 diskutierte eine stärkere Partizipation von Muslimen an der deutschen Medienlandschaft. Der Gesprächskreis verständigte sich über das Thema Bedrohung der inneren Sicherheit durch den Islamismus in Deutschland und entwickelte Kooperationsprojekte zwischen Bund und Ländern. Die Integration der Sicherheitsthematik in die Konferenz rief unter einigen muslimischen Teilnehmern der DIK Kritik hervor, da diese den Gesprächskreis als Generalverdacht gegen Muslime auffassten.

Die intensiven und sehr kontroversen Debatten, die sich vor allem aus der Zusammensetzung der Muslime in der DIK ergaben, beschränkten sich nicht auf die Arbeitsgruppe, den Gesprächskreis und das Plenum, sondern erreichten auch den breiten öffentlichen Diskurs. Die Einbindung der Öffentlichkeit in die Prozesse und Diskussionen der DIK wurde von Wolfgang Schäuble selbst angestoßen. Wenige Tage vor Beginn der Konferenz wurde in der FAZ sein Artikel „Muslime in Deutschland“ veröffentlicht. Schäuble hat darin unter anderem seine Auffassung von der Rolle und Bedeutung von öffentlicher Religion im säkularen Staat grundsätzlich dargelegt und betont, dass Religionen gläubigen Personen Halt und Orientierung geben und Menschen miteinander verbinden können. Der säkulare Staat könne von den Antriebs- und Bindungskräften5 der Religionen profitieren, wenn die religiösen Ansprüche in den gesetzlichen Rahmen der Grund- und Bürgerrechte eingebunden seien.

Diese Passagen geben einen deutlichen Hinweis darauf, dass Schäuble den staatlichen Dialog mit den Muslimen nicht nur in integrations- und sicherheitspolitische Erwägungen eingebettet, sondern dass er die DIK auch durch die gesellschaftliche Bedeutung von Religion – Bedeutung verstanden als Relevanz und Sinngebung von Religion – begründet hat. Damit hat Schäuble im Rahmen der DIK die kooperativ ausgerichtete Religionspolitik in Deutschland bekräftigt und die Islampolitik in das Politikfeld der Religionspolitik eingebunden. Er hat damit aber auch ein neues Nachdenken über Religionspolitik in Deutschland ausgelöst. Gegenwärtig wird auf breiter gesellschaftlicher Ebene über die Beibehaltung oder Veränderung des deutschen Religionsverfassungsrechts diskutiert. Zudem erheben auch weitere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften Anspruch auf religionspolitische Inklusion6 und erfahren zunehmend gesellschaftspolitische Resonanz.

DIK II (2010 – 2013) – Religion, Sicherheit und Integration

Die DIK II, die von Thomas de Maizière eröffnet und nach dessen Wechsel ins Verteidigungsministerium von Hans-Peter Friedrich fortgeführt wurde, vernachlässigte solche grundsätzlichen Überlegungen zur Beziehung zwischen Staat und Religionen eher, da sie beanspruchte, praktische Aufgaben zu fokussieren.

Lesen Sie weiter im Materialdienst der EZW: https://www.ezw-berlin.de/html/15_10028.php


Anmerkungen

1 Horst Seehofer: Grundsatzrede zum Auftakt der 4. Deutschen Islam Konferenz, www.bmi.bund.de/SharedDocs/reden/DE/2018/11/rede-dik-20181128.html (Abruf: 12.12.2018).
2 Wolfgang Schäuble: Deutsche Islam Konferenz – Perspektiven für eine gemeinsame Zukunft. Rede zur 54. Sitzung des Deutschen Bundestages, in: Deutsche Islam Konferenz (Hg.): Drei Jahre Deutsche Islam Konferenz (DIK) 2006 – 2009. Muslime in Deutschland – deutsche Muslime, Berlin 2009.
3 Marcel Klinge: Islam und Integrationspolitik deutscher Bundesregierungen nach dem 11. September 2001. Eine Politikfeldanalyse der ersten Deutschen Islam Konferenz und ihrer Implikationen für die nationale Integrationspolitik, Berlin 2012, 143f.
4 Schäuble: Deutsche Islam Konferenz (s. Fußnote 2), 17.
5 Vgl. Wolfgang Schäuble: Muslime in Deutschland (Namensartikel in der FAZ vom 27.9.2006), www.wolfgang-schaeuble.de/wp-content/uploads/2015/04/060927faz.pdf (Abruf: 11.12.2018).
6 Dies äußert sich etwa in der Forderung nach einer Konferenz über Religions- und Weltanschauungsfragen durch den Präsidenten des Humanistischen Verbandes Deutschlands, Florian Zimmermann. Zimmermann sieht das langfristige Ziel einer solchen Konferenz in der Reform des Staatskirchenrechts. Vgl. hpd: Der Islam, eine ganz normale Religion?, https://hpd.de/artikel/islam-ganz-normale-religion-16253 (Abruf: 21.12.2018).

Islampolitik in Niedersachsen. Irritationen im Koalitionsvertrag

In Niedersachsen haben sich SPD und CDU auf einen Koalitionsvertrag verständigt. Unter der Überschrift „Kirchen und Religionsgemeinschaften“ führen die Parteien ihre Positionen zur Religionspolitik in Niedersachsen aus.

Vorgeschichte

Öffentliches Interesse erregen vor allem die Absichtserklärungen zum Umgang mit der islamischen Religion. Denn in der letzten Legislaturperiode waren SPD und Bündnis 90/Die Grünen kurz davor gewesen, einen Vertrag mit islamischen Verbänden abzuschließen. Die damalige Landesregierung hat im Jahr 2013 Gespräche mit der SCHURA Niedersachsen und dem DITIB Landesverband Niedersachsen und Bremen e.V. aufgenommen, um einen Vertrag auszuhandeln. Das Ziel der Verhandlungen formulierten die Beteiligten darin, „Lösungsansätze für klärungsbedürftige Fragen im Integrationsprozess zu erarbeiten und die gefundenen Lösungen in einer Vereinbarung festzuhalten. Durch die angestrebte Vereinbarung soll auch herausgestellt werden, dass die Bürgerinnen und Bürger islamischen Glaubens sich am religiösen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben in Niedersachsen beteiligen“ (Niedersächsischer Landtag 2012: 37).

Der Vertrag sollte demnach der offiziellen Anerkennung der islamischen Gemeinschaften als eines aktiven Bestandteils des öffentlichen Lebens in Niedersachsen dienen. Bereits im Dezember 2012 erzielten die Akteure in ihren Verhandlungen eine Vereinbarung zur „muslimischen Seelsorge im Justizvollzug“ (Niedersächsisches Justizministerium 2012: 1). Niedersachsen holte zur Prüfung darüber, ob die Vertragspartner als Religionsgemeinschaften nach Art. 7 Abs. 3 GG gelten können, ein religionswissenschaftliches und ein rechtliches Gutachten ein. Beide Gutachten kamen zu einem positiven Ergebnis.

Dennoch wurde der Vertrag in der vergangenen Legislaturperiode nicht abgeschlossen, da die Beziehungen der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) zur Türkei in die Kritik gerieten. Die CDU-Landtagsfraktion beschloss am 02. August einstimmig, die Verhandlungen mit DITIB aufgrund „mangelnder Staatsferne“ des Vereins zum türkischen Staat abzubrechen. Nach anhaltender Kritik gab die Landesregierung im Januar 2017 bekannt, dass die Vertragsverhandlungen bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode ausgesetzt werden.

Bewegung im aktuellen Vertrag

Im aktuellen Koalitionsvertrag haben sich SPD und CDU darauf geeinigt, die Gespräche wieder aufzunehmen. Als Ziel dieser Gespräche wird die „Entwicklung eines Formats der Zusammenarbeit, das einerseits der besonderen Verfasstheit der muslimischen Organisationen gerecht wird und andererseits die Gewähr dafür bietet, dass der mit dem Vertragsschluss seinerzeit angestrebte Zweck erreicht wird, sei es durch einen Vertrag, sei es auf vergleichbare andere Weise“ (SPD/CDU 2017: 22) benannt.

Irritationen

Für eine voranschreitende religionsrechtliche Integration der islamischen Religionsgemeinschaften ist es erfreulich, dass sich die CDU offen für Gespräche und Vereinbarungen zeigt – auch wenn abzuwarten bleibt, wie eine Verständigung  zwischen CDU und DITIB gelingen kann.
Irritierend ist jedoch, wie die zukünftigen Prozesse der Auseinandersetzung im Koalitionsvertrag tituliert werden – nämlich als „interreligiöser Dialog“. Im Koalitionsvertrag steht explizit: „SPD und CDU werden anknüpfend an die zum Abschluss eines Vertrages mit den muslimischen Verbänden geführten Gespräche aus der abgelaufenen Wahlperiode den interreligiösen Dialog fortsetzen“ (ebd.).

Ein interreligiöser Dialog kann jedoch nur zwischen Religionsgemeinschaften stattfinden. Regierungsparteien können einen interreligiösen Austausch befürworten, ihn sogar fördern, sich aber nicht in die inhaltliche Ausgestaltung eines solchen Dialogs einmischen.

Wolfgang Schäuble hat dies im Rahmen der Deutschen Islam Konferenz herausgestellt und zurecht darauf hingewiesen, dass „es nicht in der Macht der Politik und der Politiker [steht], das tatsächliche Miteinander und Zusammenleben der Religionen zu gestalten. Das müssen die Menschen selbst tun. Die Aufgabe und Verantwortung der Regierung besteht darin, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es allen religiösen Gruppen optimal ermöglichen, sich in das gesellschaftliche und politische Leben einzubringen“ (Schäuble 2009).

Genau das sollte auch Aufgabe der niedersächsischen Landesregierung sein. Das Missverständnis, die Diskussionsprozesse zwischen der Landesregierung und den muslimischen Kooperationspartnern als interreligiösen Dialog zu bezeichnen, sollte behoben werden, da ansonsten eine unzulässige Identifikation der Landesregierung mit einer religiösen Position angedeutet wird, die dem Prinzip der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates zu wider läuft.

 

Literatur

Niedersächsischer Landtag: Antwort auf die Große Anfrage: Muslimisches Leben in Niedersachsen. Drucksache 16/5434, 2012. Auf: https://www.fraktion.gruene- niedersachsen.de/fileadmin/docs/fraktion/plenarinitiativen/ Grosse_Anfrage_muslimisches_leben_nds.pdf, Stand: 21.11.2017.

Niedersächsisches Justizministerium: Justizminister Busemann unterzeichnet Vereinbarung zwischen den muslimischen Landesverbänden und dem Justizminister zur muslimischen

Seelsorge im Justizvollzug, Hannover 18.12.2012. Auf: http://www.mj.niedersachsen.de/ portal/live.php?navigation_id=3745& article_id=111512&_psmand=13, Stand: 20.10.2014.

Schäuble, Wolfgang: Das Miteinander der Religionen in Deutschland und Europa. Rede anlässlich des Besuchs der Kairo Universität, 21.06.2009. Auf: http://www.wolfgang- schaeuble.de/das-miteinander-der-religionen-in-deutschland-und- europa/, Stand: 23.05.2017

SPD/CDU: Gemeinsam für ein modernes Niedersachsen. Für Innovation, Sicherheit und Zusammenhalt. Für die 18. Wahlperiode des Niedersächsischen Landtages 2017 bis 2022. Auf: https://www.ndr.de/home/niedersachsen/groko230.pdf, Stand: 21.11.2017.

Religionspolitik im Bundestagswahlkampf 2017 – Teil 6: Regierungsprogramm der AfD

„Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ (34). Mit dieser Prämisse, welche die ca. 4,4-4,7 Millionen Muslim*innen (BAMF 2016: 5) in der Bundesrepublik Deutschland missachtet, leitet die AfD ihre Religionspolitik ein.

Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung

Die AfD tituliert ihre islampolitische Agenda mit der Überschrift „Der Islam im Konflikt mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ und bewertet die islamische Religion als grundsätzliches Problem für die freiheitlich-demokratische Verfassung.

Die Partei klassifiziert eine wachsende Zahl von Muslim*innen insofern generell als Bedrohung für den Staat, die Gesellschaft und die Werteordnung (34). Die Partei untermauert diese Annahme in ihrem Wahlprogramm durch ein Zitat des verstorbenen Altkanzlers Helmut Schmidt (SPD), der in seinen Memoiren „Außer Dienst“ die steigende Zahl von Muslim*innen im Land als Gefährdung des inneren Friedens bezeichnet hatte.

Gute und schlechte Muslim*innen

Die AfD scheint die pauschale Diffamierung der islamischen Religion und der Muslim*innen im Weiteren durch den Hinweis zu relativieren, dass auch viele rechtstreue und integrierte Muslim*innen in Deutschland leben und angesehene Mitglieder der Gesellschaft sind. Deshalb werde auch nur ein solcher Islam verurteilt wird, der die Rechtsordnung nicht respektiert und einen Herrschaftsanspruch erhebt. Diese Differenzierung zwischen rechtstreuen und rechtsfeindlichen Muslim*innen führt in der weiteren Programmatik jedoch nicht dazu, dass die große, friedliebende Mehrheit der Muslim*innen in Deutschland von einer radikalen, gewaltbereiten Minderheit unterschieden wird.

Einschränkung der Religionsfreiheit

Mit einer ähnlichen Inkonsequenz höhlt die AfD auch das Bekenntnis zur Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit in ihrem Wahlprogramm aus. Sie fordert, dass die freie Religionsausübung „durch staatliche Gesetze, die Menschenrechte und unsere Werte“ (34) eingeschränkt wird. Vor allem die Restriktion durch den Passus „unsere Werte“ eröffnet einen großen Interpretationsspielraum und schmälert vor dem Hintergrund der eingangs pauschal formulierten Diffamierung von Muslim*innen das Vertrauen in die tatsächliche Gewährleistung der Religionsfreiheit für alle Bürger*innen der Bundesrepublik Deutschland.

Die AfD spricht sich zudem dafür aus, das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auch im Bereich religiöser Satire zu schützen und wendet sich dagegen, vermeintlich „rational[e] Religionskritik als ‚Islamophobie‘ und ‚Rassismus‘“ (34) zu bewerten. Sie beurteilt diese Etikettierung als Polemik.

Kulturelle Kampfansagen

Zur Unterbindung des gewaltbereiten Salafismus und Terrorismus will die AfD den Bau und den Betrieb von Moscheen durch verfassungsfeindliche Vereine nach Art 9 Abs. 2 GG sowie die finanzielle Unterstützung von ausländischen Geldgebern untersagen, da „islamische Staaten“ auf diese Weise einen Kulturkrieg führen wollten.

Dieser Annahme begegnet die AfD ihrerseits mit kulturellen Kampfansagen, indem sie das Minarett als islamisches Herrschaftssymbol und den Muezzinruf als „religiösen Imperialismus“ interpretiert und beides vehement ablehnt.

Von Imamen fordert die AfD neben der vorbehaltlosen Anerkennung des Grundgesetztes zudem, dass Predigten in deutscher Sprache abgehalten werden.

Zusätzlich möchte sie Burka und Niqab verbieten, da diese das Zusammenleben in der Gesellschaft erschweren (35).

Keine islamische Theologie

Abweichend von allen anderen Parteien will die AfD islamtheologische Lehrstühle an deutschen Universitäten abschaffen und die Stellen durch eine bekenntnisneutrale Islamwissenschaft ersetzten. Damit verbindet sich der Anspruch, an staatlichen Schulen keinen islamischen Religionsunterricht, sondern bekenntnisfreien Islamkundeunterricht zu etablieren.

Keine Körperschaftsrechte für islamische Organisationen

Die AfD lehnt es zudem grundsätzlich ab, islamischen Organisationen den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verleihen, weil sie auch ohne detaillierte rechtliche Prüfung davon ausgeht, dass keine islamische Organisation die hierfür erforderliche Gewähr der Dauer bezüglich der Verfassung und Mindestmitgliedzahl sowie die erforderliche Rechtstreue erfüllt. Letzteres begründet die AfD durch die Annahme, dass „die Anerkennung der Religionsfreiheit, der weltanschaulichen Neutralität des Staates und der Gleichwertigkeit der Religionen welche das Staatskirchenrecht verlangt, […] dem Islam fremd [sind]“ (35).

Generelles Kopftuchverbot

Unterstützt wird diese Auslegung der islamischen Religion zusätzlich durch die einseitige Interpretation des Kopftuchs als „religiös-politisches Zeichen der Unterordnung von Muslimas unter den Mann“ (35), das die AfD als unvereinbar mit der im Grundgesetz kodifizierten Gleichberechtigung von Mann und Frau bewertet. Deswegen strebt die AfD ein generelles Verbot des Kopftuchs im öffentlichen Dienst an. In Schulen soll das Kopftuchverbot – in Orientierung am laizistischen Modell Frankreichs – allerdings nicht nur für Lehrer*innen, sondern auch für Schüler*innen in Kraft treten (35).

Verbot religiöser Voraustrauungen

Die laizistische Tendenz der Religionspolitik der AfD drückt sich auch beim Eheverständnis der Partei aus. Sie besteht darauf, dass jeder religiösen eine standesamtliche Trauung vorgeordnet sein muss. Die AfD wendet sich auf diese Weise gegen religiöse Voraustrauungen, da diese der AfD-Agenda zufolge Zwang, Polygamie, Kinder- und Verwandtenehen begünstigen können.

Die AfD spricht sich mit diesen Bestimmungen auch gegen die Möglichkeit einer rein kirchlichen Trauungszeremonie aus, wie sie in der katholischen Kirche angeboten wird, obgleich diese vom Staat als rein private Zeremonie betrachtet wird, die nicht mit dem Status einer Zivilehe vergleichbar ist.

Zudem wendet sich die Partei in ihrem Wahlprogramm gegen die Regelung, dass bei im Ausland geschlossenen Ehen, das ausländische und nicht das deutsche Recht angewendet wird.

Resümee: Restriktionen für Muslim*innen

Die religionspolitische Agenda des AfD Wahlprogramms fokussiert primär Veränderungen der aktuellen Islampolitik. Für diesen Bereich sieht die AfD tiefgreifende Umbrüche vor, die zahlreiche Einschränkungen für Muslim*innen beinhalten.

Die politische Agenda der AfD ist tendenziell laizistisch orientiert und offenbart eine ideologisch voreingenommene Haltung gegenüber der islamischen Religion. Auf diese Weise gerät die weltanschauliche Neutralität des Staates in Bedrängnis. Zwar ist der Staat dazu verpflichtet, seine Bürger zu schützten, die Einhaltung der kodifizierten Gesetze zu bewahren und Gesetzesverstöße zu ahnden, er darf dies jedoch nicht aufgrund von Vorannahmen und Vorurteilen tun, die größtenteils auf der Methode beruhen, Einzelfälle als allgemeingültige Regeln zu behandeln und sie auf diese Weise als bestätigende Fakten in ein vorgefasstes Weltbild einzufügen. Ein solches Vorgehen führt zur systematischen Diskriminierung, Benachteiligung und Ausgrenzung von Bürger*innen und verstößt damit gegen das Grundgesetz. Die islampolitische Agenda der AfD, die vermeintlich darauf ausgerichtet ist, Staat und Gesellschaft vor Feinden des Grundgesetzes zu schützen, wird somit selbst zur Bedrohung der freiheitlich-demokratischen Ordnung.

Religionspolitik im Bundestagswahlkampf 2017 – Teil 5: Regierungsprogramm von Bündnis 90/Die Grünen

Die politischen  Positionen von Bündnis 90/Die Grünen bewegen sich zwischen linksorientierten und wertkonservativen Überzeugungen. Um diese innerparteiliche Meinungsvielfalt im Feld der Religionspolitik bewältigen zu können, haben die Grünen im Jahr 2013 eine Kommission „Weltanschauung, Religionsgemeinschaften und Staat“ eingerichtet. Viele Aspekte der religionspolitischen Agenda im Wahlprogramm der Partei lässt sich auf den Abschlussbericht der Kommission aus dem Jahr 2016 zurückführen.

Grünes Leitbild einer offenen Gesellschaft

Bündnis 90/Die Grünen entfalten ihre Religionspolitik vor dem Hintergrund des Leitbildes einer säkularen und offenen Gesellschaft, die unter Wahrung der Grundrechte aller Menschen ein selbstbestimmtes friedliches, respektvolles Zusammenleben in Vielfalt praktiziert. Menschen werden darin weder aufgrund ihrer Herkunft und Kultur noch aufgrund ihrer Religion und Weltanschauung ausgegrenzt (120). Religionen und ihre heiligen Bücher werden in einer solchen offenen Gesellschaft als Quellen für persönliche Wertüberzeugungen geschätzt, dürfen dem Wahlprogramm zufolge aber niemals zur Einschränkung des Grundgesetztes führen (122).
Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften werden von Bündnis 90/Die Grünen allerdings nicht auf solche Gefahrenpotenziale reduziert, sondern potenziell auch als „wichtige Stütze einer lebendigen Demokratie“ (121) ausgezeichnet. Diese Haltung begründet die Partei durch die vielen Menschen, die sich aus ihrem Glauben heraus für „Geflüchtete, eine saubere Umwelt, weltweite Gerechtigkeit oder gegen Armut in ihrer Nachbarschaft“ (121, siehe auch 141) engagieren und auf diese Weise einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt erbringen.

Stärkung des Dialogs zwischen religiösen sowie mit konfessionslosen Bürgern

In einer offenen Gesellschaft muss es dem Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen zufolge allen Menschen möglich sein, ihren Glauben nach ihrem Verständnis zu leben oder abzulegen. Diskriminierungen von Andersgläubigen dürfen ebenso wenig toleriert werden, wie die Bedrohung von Anhängern liberaler Religionsauslegungen (121). Um das gegenseitige Verständnis zu erhöhen, strebt die Partei einen verstärkten Dialog zwischen den Religionen sowie mit religionsfreien Menschen an. Sie setzt damit nicht auf Vorhaltungen, sondern auf Verständigung.
Zudem beabsichtigen die Grünen der wachsenden Vielfalt in der Bevölkerung etwa in der Wohlfahrtspflege sowie in der „öffentlichen Gedenk- und Trauerkultur“ nachzukommen (121). Hierbei wird allerdings nicht expliziert, ob die Partei die Repräsentation von religiöser Pluralität, oder von religionsfreien Personen in der Wohlfahrtspflege und der Gedenk- und Trauerkultur erhöhen möchte. Beides hätte angesichts der zunehmenden Pluralisierung und der wachsenden Zahl von Konfessionslosen Bürger*innen in Deutschland durchaus Berechtigung.

Ablösung der Staatsleistungen

Veränderungen der aktuellen Religionspolitik sieht die Partei insbesondere in Bezug auf die bisherigen Kooperationen zwischen Staat und Kirche vor. So streben Bündnis 90/Die Grünen – wie auch Die Linke – eine Ablösung der historischen Staatsleistungen an die katholische und evangelische Kirche an und fordern mehr Transparenz für kirchliche Finanzen. In diesem Zusammenhang überrascht es jedoch zum einen, dass die Grünen den Antrag der Fraktion Die Linke im Bundestag im März 2017, zur Überprüfung der staatlichen Zahlungen an die Kirchen, nicht mitgetragen, oder einen eigenen Antrag eingebracht haben. Zum anderen erzeugt der Umstand Irritationen, dass sich die Partei angesichts der beabsichtigten Veränderungen in den Kooperationen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften nicht zu den weiteren Aspekten der Kooperation – wie etwa dem Religionsunterricht – positioniert. Für potenzieller Wähler*innen entsteht durch diese Leerstelle ein Raum für Spekulationen und Unsicherheiten.

Abschaffung des Blasphemie-Paragraphen

Ferner sprechen sich Bündnis 90/Die Grüne für eine Abschaffung des sogenannten Blasphemie-Paragraphen §166 STGB aus, da dieser die kritische Kunst, nicht aber die religiösen Fanatiker*innen als Feinde der offenen Gesellschaft markiere. Die Grünen lehnen es insofern ab, satirische Äußerungen über Religionen zu verbieten, die eine öffentliche Unruhe auslösen könnten und fordern stattdessen mehr Toleranz von religiösen Akteur*innen ein, um den gesellschaftlichen Frieden zu bewahren.

Grüne Islampolitik

Zusätzlich zu diesen Aspekten haben Bündnis 90/Die Grünen auch Leitideen für die Islampolitik entwickelt. Diese basieren auf dem Bekenntnis, dass der Islam zu Deutschland gehört (122). Die grüne Politik ist darauf ausgerichtet, zwar die Religionsfreiheit der Muslime zu schützen, aber nicht leichtfertig mit islamischen politischen Organisationen umzugehen. Konkret bedeutet dies, dass sich die Partei für die Ausbildung von islamischen Religionslehrer*innen und Imam*innen ausspricht, damit Muslime ihren Glauben als Teil der offenen Gesellschaft praktizieren können (122). Das schließt auch ein, dass islamische Gemeinschaften als Religionsgemeinschaften und als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt werden, wenn sie die nötigen rechtlichen Voraussetzungen erfüllen (122). Diese Bedingungen werden den Grünen zufolge von den vier großen muslimischen Verbänden der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB), dem Islamrat (IR), dem Zentralrat der Muslime (ZMD) sowie dem Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) bislang allerdings nicht erfüllt, da sie sich nicht durch religiöse Bekenntnisse voneinander unterscheiden, sondern durch politische und sprachliche Identitäten.

Neuorganisationen der Muslim*innen

Die Grünen fordern die Muslim*innen in Deutschland dazu auf, sich bekenntnisförmig neu zu organisieren. Denn nur unter dieser Bedingung könne sich der Anspruch auf rechtliche Gleichstellung realisieren.
Diese grüne Position wurde in den vergangenen Monaten vor allem durch Diskussionsbeiträge des religionspolitischen Sprechers, Volker Beck, öffentlich diskutiert. Mit dieser Programmatik kritisieren die Grünen viele islampolitische Initiativen und Ansätze in Deutschland, stellen ihre Legitimität in Frage und werben für Veränderungen in der Zusammenarbeit zwischen Staat und Muslimen. Sie fordern im Wahlprogramm jedoch keine sofortige Einstellung bisheriger Initiativen, sondern streben einen Umbau der inländischen Strukturen islamischer Verbände an. Dieser solle durch Kooperationen zwischen den Verbänden, den islamischen Gemeinschaften und dem Staat in Form eines regelmäßigen Austauschs erreicht werden. Auf diese Weise wird es theoretisch möglich, bisherige islampolitische Einrichtungen, wie den islamischen Religionsunterricht, für den der Staat einen religiösen Ansprechpartner benötigt, auch unter den Bedingungen einer Neuorganisation von islamischen Religionsgemeinschaften durch Übergangsformen weiterzuführen.

Präventionsprogramme gegen Extremismus

Darüber hinaus sprechen sich Bündnis 90/Die Grünen für Präventionsprogramme gegen Rechtsextremismus sowie gewaltbereiten Islamismus und Salafismus aus. Eine solche Präventionsarbeit müsse durch eine breite Kooperation zwischen Moscheegemeinden, Polizei, Schulen und Jugendhilfen vor Ort erfolgen. All diese Projekte aus den Kommunen, den Ländern und dem Bund sollen in einem bundesweiten Präventionszentrum koordiniert werden. Überdies sollen Deradikalisierungs- und Aussteigerprogramme verstärkt werden (144). Die Grünen begegnen den Phänomen von Extremismus und gewaltbereitem religiösen Fanatismus durch diese Maßnahmen auf konstruktive Weise.

Religionspolitik zwischen Verwaltung und Gestaltung

Die islampolitische Agenda von Bündnis 90/Die Grünen oszilliert zwischen Anerkennung und Kritik sowie zwischen Verwaltung und Gestaltung. Zum einen hebt die Partei im Wahlprogramm die Leistungen religiöser Akteure für den Einzelnen und die Gesellschaft hervor, fokussiert zum anderen aber auch den Schutz des Menschen und der Gesellschaft vor Religionen und Weltanschauungen. Letzteres kommt etwa in der Ablehnung des sogenannten Blasphemie-Paragraphen sowie durch Präventionsprogramme zur Vorbeugung von und dem Umgang mit radikalem Islamismus und Salafismus zum Ausdruck.
Des Weiteren fordern Bündnis 90/Die Grünen Umstrukturierungen in der Islampolitik und stellen die auf wissenschaftlichen Gutachten basierende Anerkennung einiger islamischer Verbände als Religionsgemeinschaften grundsätzlich in Frage. Die Grünen priorisieren den Umbau der islamischen Verbände als bekenntnisförmige Gemeinschaften, da nur auf Basis solcher Umstrukturierungen der Anspruch auf religiöse Gleichberechtigung realisiert werden könne.

Foto: gruene-oberpfalz.de, Rasmus Tanck/gruene.de

Religionspolitik im Bundestagswahlkampf 2017 – Teil 2: Regierungsprogramm der SPD

Im TV-Duell hat der Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, die Position vertreten, dass die islamische Religion als eine Religion neben anderen in Deutschland behandelt werden sollte. Demnach müsste die SPD ihre Islampolitik primär als Religions- und weniger als Immigrations- und Sicherheitspolitik konstituieren.

Zugleich hat Schulz gefordert, Hassprediger zu stoppen und entsprechende Moscheen zu schließen. Durch eine Analyse der Religionspolitik im SPD-Regierungsprogramm kann überprüft werden, ob die Angaben aus dem TV-Duell mit dem Programm übereinstimmen und zudem herausgestellt werden, welche religionspolitische Agenda die SPD für die kommende Legislaturperiode vertritt.

Im Regierungsprogramm findet sich kein separater Abschnitt zur Religionspolitik. Der Aspekt „Religion“ wird in verschiedenen Teilabschnitten thematisiert.
So werden in dem Oberkapitel „Es ist Zeit für eine offene und moderne Gesellschaft“ die Leistungen „vieler Freiwilliger, aber auch von Menschen in Verwaltung, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Initiativen und Vereinen“(79) gerade in Bezug auf die Aufnahme und den Umgang von neu hinzugezogenen Personen in Deutschland würdigend hervorgehoben und zudem ihr Engagement gegen Rassismus als wichtige Leistungen für die Gesellschaft klassifiziert (Seite 79f.).

Integration und Teilhabe

In dem Unterkapitel „Integration und Teilhabe – die deutsche Einwanderungsgesellschaft gestalten“ wird der interreligiöse Dialog ausgezeichnet, da er das Wissen über Religionen sowie Begegnungen zwischen verschiedenen Religionen fördere und auf diese Weise das respektvolle gesellschaftliche Miteinander stärke. Im SPD-Regierungsprogramm werden allerdings nicht nur Möglichkeiten positiv hervorgehoben, Wissen über andere Religionen erlangen zu können, sondern auch Gelegenheiten eingefordert, um die eigene Religion besser verstehen und einen aufgeklärten Umgang mit ihren Inhalten und Praktiken ausüben zu können. Aus diesem Grund wird im SPD-Regierungsprogramm der Religions- und Ethikunterricht befürwortet und zudem explizit ein „islamische[r] Religionsunterricht an staatlichen Schulen und in deutscher Sprache“ (Seite 88) hervorgehoben. Die hierfür benötigten Religionslehrer*innen sowie auch die Imame sollen an deutschen Lehrstühlen ausgebildet werden (anders als die Religionslehrer*innen werden Imame im SPD-Regierungsprogramm nur im Maskulinum aufgeführt, so dass die Ausbildung von weiblichen Imaminnen nicht anvisiert wird). Die Etablierung von Ethik- und (islamischem) Religionsunterricht wird in diesem Abschnitt des SPD-Regierungsprogramms primär durch die ihm attestierte funktionale Wirkung – religiösem Extremismus entgegenzuwirken – begründet.

Islam gehört zu Deutschland

An diese Passage schließt sich im Wahlprogramm die explizit artikulierte Auffassung an, dass sowohl die Muslime als auch der Islam zu Deutschland gehören und die Partei die organisatorische Entwicklung von muslimischen Gemeinden und Organisationen unterstützt, wenn sich diese nach deutschem Recht organisieren und die freiheitlich-demokratische Grundordnung achten. Zudem wird befürwortet, dass ihnen „auch die Möglichkeiten unseres bewährten Religionsverfassungsrechts offen[stehen]“ (88).

Damit wird etwa die potenzielle Anerkennung von muslimischen Verbänden als Körperschaften des öffentlichen Rechts, wenn sie die notwendigen Bedingungen – über eine Gewähr der Dauer in Bezug auf ihre Verfassung und ihre Mitglieder sowie die ungeschriebene Vorschrift der Rechtstreue – aufweisen, befürwortet.

Terrorabwehr und Präventionsarbeit

Unter dem Abschnitt „Terrorabwehr – mehr grenzübergreifende Zusammenarbeit und Prävention“ wird zudem eine „Null-Toleranz-Politik gegenüber Hasspredigern und Islamistinnen und Islamisten“ (70f.) angekündigt. Dies bedeutet, dass die SPD radikale Moscheen schließen und ihre Finanzierungen beenden will. Neben solchen restriktiven Maßnahmen setzt sie zusätzlich auf Präventionsarbeit, die gemeinsam mit Moscheeverbänden und islamischen Organisationen erfolgen soll.

Keine grundlegenden Änderungen in der Religionspolitik

Im Regierungsprogramm der SPD werden kaum Anschauungen für eine übergeordnete Religionspolitik entwickelt. Dies deutet darauf hin, dass die Partei keinen Bedarf für grundsätzliche, religionspolitische Modifikationen sieht, sondern die gültigen Bestimmungen als geeignete Basis für den Umgang mit der zunehmenden Diversifizierung der religiösen Landschaft der Bundesrepublik Deutschland sowie der steigenden Zahl von konfessionslosen Bürgern bewertet. Die Zurückhaltung deutet zudem darauf hin, dass die SPD Religionspolitik in ihrem Regierungsprogramm nicht als Wahlkampfthema bestimmt.

Zwar widmet die Partei einige Passagen ihres Regierungsprogramms der Darstellung ihrer zukünftigen Islampolitik, allerdings werden darin primär richtungsweisende Impulse – wie die Anerkennung des Islams als Teil Deutschlands sowie die Anwendung der religionsverfassungsrechtlich kodifizierten Kooperationsformen zwischen Staat und Religion auf islamische Religionsgemeinschaften – aufgeführt, ohne allerdings konkrete Lösungsansätze für akute Problemlagen – wie etwa die Imamausbildung in Deutschland – zu skizzieren.

Die grundsätzliche politische Stoßrichtung des SPD-Programms zielt auf die Bewahrung der bestehenden Ordnung und deren konsequenterer Anwendung auf andere Religionen. Der Islam wird vorrangig als Aspekt der Religionspolitik thematisiert, so dass das Regierungsprogramm mit Schulz’ Position im TV-Duell übereinstimmt.

Für ein Programm, das als Regierungsprogramm firmiert, mangelt es allerdings an Konkretion und Visionen. Gerade der Bereich der Islampolitik bedarf, besonders angesichts einer sich zuspitzenden Problematik in der Zusammenarbeit zwischen Staat und islamischen Verbänden, mehr als nur einer Bestandssicherung.

Bildquelle: PDF „Zeit für mehr Gerechtigkeit. Unser Regierungsprogramm – in 1 Minute“, www.spd.de

Religionspolitik im Bundestagswahlkampf 2017 – Teil 1: Regierungsprogramm von CDU/CSU

Für die anstehenden Bundestagswahlen im September haben alle Parteien in den vergangenen Wochen Wahlprogramme veröffentlicht, in denen sie ihre Pläne und Vorstellungen für die kommende Legislaturperiode abgebildet haben. Die Parteien beschäftigen sich darin auch mit dem Aspekt „Religion“ und erläutern ihre Pläne zur Religionspolitik. In einer wöchentlichen Artikel-Serie zum Bundestagswahlkampf 2017 werden hier die Positionen zum Umgang mit Religion analysiert und miteinander in Beziehung gesetzt. Auf diese Weise werden Differenzen und Gemeinsamkeiten zwischen den Parteien sowie die religionspolitische(n) Stoßrichtung(en) des aktuellen Wahlkampfes aufgezeigt. Die Serie startet mit einer Analyse der Religionspolitik in dem Regierungsprogramm von CDU/CSU.

Religionspolitik im Regierungsprogramm von CDU/CSU

Die Unionsparteien erläutern ihre Religionspolitik in dem Regierungsprogramm unter der Überschrift „Was unser Land zusammenhält“ und ordnen sie somit grundsätzlich in einen positiven Zusammenhag ein. Der entsprechende Abschnitt zu „Christliche Kirchen und Religionsgemeinschaften“ wird mit einem klaren Bekenntnis zum Grundrecht auf Religionsfreiheit eröffnet. Religionsfreiheit wird im Programm zwischen zwei Polen verortet: Auf der einen Seite wird die Trennung von Staat und Religion als grundlegendes Prinzip der Beziehung der beiden Bereiche bestätigt. Auf der anderen Seite wird den Religionsgemeinschaften zugesichert, dass sie einen festen Platz in der Gesellschaft einnehmen. Das Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften wird somit als hinkende Trennung bestimmt.

Diese sichere Position der Religion in Deutschland erklären die Unionsparteien zum einen durch das christlich-jüdische Erbe, das Deutschland gemeinsam mit der Aufklärung bis heute entscheidend präge. Durch diesen Passus wird zwar sowohl die Bedeutung von der christlichen und jüdischen Religion für die Identität Deutschlands hervorgehoben, zugleich wird die Beziehung zwischen Staat und Religion durch den Rekurs auf die Aufklärung aber auch als eine durch die Vernunft bestimmte definiert.

Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Parteien die Wertschätzung von Religion nicht allein durch Tradition und Identität, sondern auch durch funktionale Argumente begründen. So führen die Unionsparteien in ihrem Programm aus, dass „die christlichen Kirchen seit Jahrzehnten einen unverzichtbaren Beitrag zum geistigen Leben in Deutschland und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt [leisten]. In kirchlichen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, in der Kranken- und Altenpflege, in der Jugendarbeit und in vielen anderen Bereichen. Der großartige Einsatz kirchlich engagierter Menschen bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise ist dafür ein eindrucksvolles Beispiel“ (Seite 73).
Auffällig an dieser Begründungslinie ist jedoch, dass ausschließlich auf die besonderen Leistungen der christlichen Kirchen Bezug genommen, andere Religionen jedoch nicht thematisiert werden. CDU/CSU scheinen die besondere Bedeutung von Religion für die Gesellschaft somit primär aus der christlichen Religion abzuleiten bzw. darauf zu beschränken. Diese Position lässt ihre Haltung zur weltanschaulichen Neutralität des Staates fragwürdig erscheinen.

Diese Wertschätzung findet ihren Ausdruck im Weiteren sowohl in dem Bekenntnis, dass die Union „auch künftig die Arbeit der Kirchen in vielfältiger Weise unterstützen“ wird (Seite 73) als auch in der Absichtserklärung, dass die internationale Christenverfolgung in der kommenden Legislaturperiode durch einen Sonderbeauftragten der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit fokussiert wird.

Im darauffolgenden Abschnitt wird der eingangs eingeführte Aspekt der Religionsfreiheit noch einmal aufgenommen und detaillierter erläutert. Als klare Grenze der Religionsfreiheit werden die Bestimmungen der deutschen Rechtsordnung benannt. Insofern besitzen alle Menschen einen Anspruch auf Religionsfreiheit, solange ihre Religiosität mit den gültigen Gesetzen kompatibel ist.

An diese Bestimmungen binden die Unionsparteien in ihrem Regierungsprogramm auch den interreligiösen Dialog an, den sie mit einer positiven Funktion für die deutsche Gesellschaft assoziieren und somit durch ein funktionales Argument plausibilisieren.

 Nüchterne Bilanz der Deutschen Islam Konferenz

Im Anschluss an den Passus zur Religionsfreiheit wird dann ein separater Abschnitt zur islamischen Religion in das Programm integriert. Die Parteien heben hervor, dass „die in Deutschland lebenden Muslime mit ihren Ideen und ihrer Arbeit seit langem zum Erfolg unseres Landes bei[tragen] und deshalb zu unserer Gesellschaft [gehören]“ (Seite 73).
Auffällig an dieser Passage ist, dass die umstrittene Aussage des ehemaligen Innenministers, Hans-Peter Friedrich, dass zwar Muslime, nicht aber der Islam zu Deutschland gehören, implizit aufgenommen und bestätigt wird – da zwar die Zugehörigkeit der Muslime, nicht aber der islamischen Religion zu Deutschland affirmiert wird.

Zusätzlich wird die Deutsche Islam Konferenz (DIK) als staatlich initiiertes Dialogforum mit „hier lebenden Muslimen und ihren Organisationen“ (Seite 73) aufgeführt. Anstatt die erzielten Ergebnisse der DIK zu würdigen, werden im aktuellen Programm jedoch Erfolge eingefordert. Diese werden an drei Punkten bemessen: 1. Mit staatlicher Hilfe soll sich ein friedlicher und integrationsbereiter Islam nach den Vorgaben des Grundgesetztes so organisieren, dass er dem Staat ein Verhandlungs- und Dialogpartner ist. 2. Es muss gemeinsam gegen „Hass, Gewalt, Terrorismus und Unterdrückung“ (Seite 74) vorgegangen werden. Moscheen in denen Hassprediger und Salafisten auftreten, müssen geschlossen und die betreffenden Akteure mit aller Härte des Gesetzes verfolgt werden. 3. Es wird eine politische Einflussnahme aus dem Ausland zurückgewiesen.

Diese Eckpunkte offenbaren eine sehr nüchterne Bilanz von elf Jahren Deutscher Islam Konferenz. Denn bereits 2006 wurde die Organisation der Muslime in Deutschland als Kooperationspartner für den Staat als ein wesentlicher Schwerpunkt der DIK fixiert. Bis heute ist dies aufgrund der starken innerreligiösen Pluralität der islamischen Religion und seiner vom Christentum differierenden Organisationsformen nicht geglückt. Stattdessen wurden Übergangsmodelle initiiert, durch die Projekte wie die islamische Theologie an staatlichen Universitäten und der islamische Religionsunterricht an staatlichen Schulen eingeführt werden konnten. Das aktuelle Regierungsprogramm hebt diese Ergebnisse, die von der DIK entscheidend vorangetrieben wurden, nicht als Erfolge hervor, sondern fokussiert stattdessen erneut auf die Diskussionsaspekte von 2006.

Die Punkte 2. und 3. belegen zudem, dass die Passagen zur Islampolitik stark von den aktuellen Diskussionen über islamistischen Terrorismus und die Bedrohung durch salafistische Theologien sowie durch die Affären um die Türkisch Islamische Anstalt für Religion e.V. (DITIB) geprägt sind. Das Programm gibt jedoch keine Lösungsvorschläge für diese Problematiken vor, sondern stellt stattdessen Richtlinien für eine Zusammenarbeit auf, die dem Wähler zeigen sollen, dass die Parteien in diesem Bereich mit einer deutlicheren Härte zu agieren beabsichtigen.

Dass hierdurch primär Stimmungen befriedigt, jedoch keine Lösung angeboten werden, mag in einem Programm, das nicht nur als Wahl- sondern als Regierungsprogramm etikettiert wird, ebenso sehr zu verwundern wie der Umstand, dass nach elf Jahren Deutscher Islam Konferenz unter Unionsführung keine Ergebnisse dieses Prozesses ausgewiesen werden, sondern stattdessen eine Rückkehr zu den anfänglichen Fragestellungen vorgenommen wird.

Ambivalente Religionspolitik

Insgesamt lässt sich somit eine gewisse Ambivalenz in der Religionspolitik der Unionsparteien verzeichnen. Während die Kooperationen mit den Kirchen als gewinnbringend charakterisiert und eine weitere Zusammenarbeit uneingeschränkt befürwortet wird, bewerten die Unionsparteien die Zusammenarbeit mit den Muslimen als weitgehend problematisch. CDU/CSU halten zwar an einer Zusammenarbeit zwischen Staat und Muslimen in Deutschland fest, sie greifen aber nicht auf ihren Erfahrungsschatz aus elf Jahren Deutscher Islam Konferenz zurück, um konstruktive Lösungsansätze für akute Probleme zu entwickeln, sondern fokussieren sich stattdessen auf die reine Beschreibung von Konfliktlinien und zeigen Parteiprinzipien für den Umgang damit auf.

Foto: Pressekonferenz von Angela Merkel und Horst Seehofer zur Verkündung des Regierungsprogramms am 03.07.17 in Berlin im Konrad-Adenauer-Haus nach einer gemeinsamen Sitzung von CDU und CSU. / Fotograf: Tobias Koch (tobiaskoch.net)

Neuausrichtung der Islampolitik

Volker Beck zieht in einem Beitrag für das Debattenportal CAUSA des Tagesspiegels eine ernüchternde Bilanz über die bisherige Islampolitik in Deutschland. Die Deutsche Islam Konferenz, die seit 2006 im Bund als Kommunikationsgremium zwischen staatlichen und muslimischen Akteuren fungiert, habe keine nennbaren Ergebnisse hervorgebracht und in den Ländern herrsche derzeit ein „Flickenteppich aus gesetzlichen Regelungen zum Kopftuch und Religionsunterricht“ vor.

Beck fordert eine klare Linie in der politischen Positionierung zum Islam und den Muslimen in Deutschland. Diese dürfe sich nicht – wie es aktuell geschehe – zwischen  einem Islambashing und leiltkulturellen Machtdemonstrationen auf der einen und einem leichtsinnigen Umgang in der Zusammenarbeit mit den Verbänden auf der anderen Seite bewegen.

Beck kritisiert die bisherige Islampolitik dafür, dass sie den islamischen Verbänden in Deutschland zu unkritisch begegne, ihnen den Status von Religionsgemeinschaften anbietet, obwohl sie kaum Informationen über ihre Aufstellung, Organisation und Finanzierung besitzt. Er schlägt zur Bewältigung dieses Informationsdefizits die Einrichtung eines wissenschaftlichen Instituts vor, „das für Staat und Zivilgesellschaft Informationen über Ausrichtung, Verbindungen und Struktur islamischer Organisationen aufarbeitet“.

Des Weiteren tritt Beck für eine Islampolitik ein, die sich der kooperativen Trennung zwischen Staat und Religion in Deutschland konsequent verpflichtet weiß und die Religion nicht aus der Öffentlichkeit verdrängt, sondern die Religionsfreiheit von religiösen Bürgern schützt, solange diese die Rechte Dritter nicht beeinträchtigen.

Becks Entwurf einer neuen Islampolitik orientiert sich an den Prinzipien des Grundgesetztes. Er tritt insofern für eine Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften ein, die vielfältige „öffentliche Entfaltungs-­ und Beteiligungsmöglichkeiten“ beinhaltet. Er fordert in diesem Zusammenhang vom Staat jedoch zugleich eine kritische Prüfung seiner Kooperationspartner, damit ihm „kein Kuckucksei ins Nest gelegt wird“.

Der Staat muss Beck zufolge höhere Ansprüche an jene islamischen Verbände stellen, die sich als Kooperationspartner des Staates begreifen und als Religionsgemeinschaften anerkannt werden wollen.  Eine verantwortungsvolle Kooperation zwischen Staat und islamischen Organisationen bedürfe einer „bekenntnisförmige[n] Neuorganisation der Muslime“, die eine Loslösung der islamischen Verbände von den Herkunftsstaaten und eine stärkere Hinwendung der Organisationen zum religiösen Bekenntnis beinhalte.

Für daraus resultierende Finanzierungsprobleme schlägt Beck eine vorübergehende Unterstützung durch eine staatliche Stiftung oder aber die Etablierung von nebenberuflichen Teilzeitimamen vor. Langfristig fordert Beck jedoch, dass die islamischen Verbände eine Eigenfinanzierung ihrer religiösen Leistungen bewerkstelligen müssen.

Volker Beck entwickelt seine Impulse für die Islampolitik in Deutschland in einer Krisenzeit. Vor allem die Affären um den türkischen Dachverband DITIB, seine Verbindungen zur türkischen Religionsbehörde sowie die Weitergabe von Informationen über Personen an den türkischen Staat haben viele islampolitische Projekte in den Pausenmodus versetzt und eine Fortsetzung der Zusammenarbeit fragwürdig gemacht. Beck begreift diese Situation als Chance für die Neuausrichtung einer aus seiner Perspektive bislang mangelhaften Islampolitik.

Mag Becks negatives Urteil über die bisherige Islampolitik in Deutschland auch radikal erscheinen, da in den vergangen 10 Jahren viele wichtige Maßnahmen eingeführt wurden, berührt er vor allem mit der Affäre um DITIB dennoch einen wunden Punkt und entwickelt wichtige Anregungen für eine Neugestaltung der Islampolitik in Deutschland.

Seine bewusste Orientierung am Grundgesetz spart allerdings die Diskussion darüber aus, ob die vorhandenen religionspolitischen Bestimmungen geeignet sind, um die faktische Pluralität unserer multireligiösen Gesellschaft zu organisieren. Schließlich resultieren sie aus der historischen Auseinandersetzung zwischen dem Staat und der christlichen Religion. Doch wie viele andere Politiker scheint Beck die Bestimmungen des Grundgesetzes als ausreichend anschlussfähig zur Integration von religiösen Minderheiten zu bewerten.

Abseits von solchen grundsätzlichen Erwägungen rufen Becks Vorschläge einige praktische Schwierigkeiten hervor: Volker Beck zeigt selbst auf, dass eine Umwandlung der islamischen Verbände nicht schnell und unproblematisch erfolgen wird. Wie aber kann in der Zwischenzeit eine Kooperation zwischen staatlichen und islamischen Akteuren aussehen? Wie können Initiativen wie der islamische Religionsunterricht und die Ausbildung von islamischen Theologen auf einer legitimen Basis weiter fortgeführt werden?

Um diese Projekte nicht zu gefährden, darf die Umgestaltung der Verbandslandschaft der Muslime nicht als harter Schnitt anvisiert werden. Vielmehr setzt sie zum einen zunächst eine genaue Analyse der Fakten voraus. Hierzu wäre ein wissenschaftlicher Dienst, wie ihn Volker Beck vorschlägt, sicherlich eine wichtige Einrichtung.

Zum anderen sollten staatliche Akteure gemeinsam mit veränderungsbereiten Akteuren der Verbände in der Islampolitik über Umstrukturierungsmaßnahmen nachdenken und überlegen, wie eine Ablösung von den Herkunftsstaaten gelingen kann, ohne die Organisationen und die von ihnen mitgetragenen islampolitischen Projekte grundsätzlich zu gefährden. Der Staat kann sich dieser Diskussion nicht entziehen und die Verbände sich selbst überlassen, ohne dabei wichtige Kooperationen und Fortschritte der vergangenen Jahre zu riskieren. Er kann und muss aber von den Verbänden auch erwarten, dass sich diese darum bemühen, die religionspolitischen Regelungen des Grundgesetzes konsequent zu realisieren und etwaige Defizite in diesem Bereich aufzuarbeiten.

Zwar sollte langfristig darauf hingearbeitet werden, dass die Verbände sich eigenständig organisieren und finanzieren können, doch bedürfen sie dazu (struktureller und finanzieller) Hilfestellungen, über deren Möglichkeiten die Akteure gemeinsam mit dem deutschen Staat in islampolitischen Foren beraten sollten.

 

(Foto: Stefan Kaminski)