Volker Beck zieht in einem Beitrag für das Debattenportal CAUSA des Tagesspiegels eine ernüchternde Bilanz über die bisherige Islampolitik in Deutschland. Die Deutsche Islam Konferenz, die seit 2006 im Bund als Kommunikationsgremium zwischen staatlichen und muslimischen Akteuren fungiert, habe keine nennbaren Ergebnisse hervorgebracht und in den Ländern herrsche derzeit ein „Flickenteppich aus gesetzlichen Regelungen zum Kopftuch und Religionsunterricht“ vor.
Beck fordert eine klare Linie in der politischen Positionierung zum Islam und den Muslimen in Deutschland. Diese dürfe sich nicht – wie es aktuell geschehe – zwischen einem Islambashing und leiltkulturellen Machtdemonstrationen auf der einen und einem leichtsinnigen Umgang in der Zusammenarbeit mit den Verbänden auf der anderen Seite bewegen.
Beck kritisiert die bisherige Islampolitik dafür, dass sie den islamischen Verbänden in Deutschland zu unkritisch begegne, ihnen den Status von Religionsgemeinschaften anbietet, obwohl sie kaum Informationen über ihre Aufstellung, Organisation und Finanzierung besitzt. Er schlägt zur Bewältigung dieses Informationsdefizits die Einrichtung eines wissenschaftlichen Instituts vor, „das für Staat und Zivilgesellschaft Informationen über Ausrichtung, Verbindungen und Struktur islamischer Organisationen aufarbeitet“.
Des Weiteren tritt Beck für eine Islampolitik ein, die sich der kooperativen Trennung zwischen Staat und Religion in Deutschland konsequent verpflichtet weiß und die Religion nicht aus der Öffentlichkeit verdrängt, sondern die Religionsfreiheit von religiösen Bürgern schützt, solange diese die Rechte Dritter nicht beeinträchtigen.
Becks Entwurf einer neuen Islampolitik orientiert sich an den Prinzipien des Grundgesetztes. Er tritt insofern für eine Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften ein, die vielfältige „öffentliche Entfaltungs- und Beteiligungsmöglichkeiten“ beinhaltet. Er fordert in diesem Zusammenhang vom Staat jedoch zugleich eine kritische Prüfung seiner Kooperationspartner, damit ihm „kein Kuckucksei ins Nest gelegt wird“.
Der Staat muss Beck zufolge höhere Ansprüche an jene islamischen Verbände stellen, die sich als Kooperationspartner des Staates begreifen und als Religionsgemeinschaften anerkannt werden wollen. Eine verantwortungsvolle Kooperation zwischen Staat und islamischen Organisationen bedürfe einer „bekenntnisförmige[n] Neuorganisation der Muslime“, die eine Loslösung der islamischen Verbände von den Herkunftsstaaten und eine stärkere Hinwendung der Organisationen zum religiösen Bekenntnis beinhalte.
Für daraus resultierende Finanzierungsprobleme schlägt Beck eine vorübergehende Unterstützung durch eine staatliche Stiftung oder aber die Etablierung von nebenberuflichen Teilzeitimamen vor. Langfristig fordert Beck jedoch, dass die islamischen Verbände eine Eigenfinanzierung ihrer religiösen Leistungen bewerkstelligen müssen.
Volker Beck entwickelt seine Impulse für die Islampolitik in Deutschland in einer Krisenzeit. Vor allem die Affären um den türkischen Dachverband DITIB, seine Verbindungen zur türkischen Religionsbehörde sowie die Weitergabe von Informationen über Personen an den türkischen Staat haben viele islampolitische Projekte in den Pausenmodus versetzt und eine Fortsetzung der Zusammenarbeit fragwürdig gemacht. Beck begreift diese Situation als Chance für die Neuausrichtung einer aus seiner Perspektive bislang mangelhaften Islampolitik.
Mag Becks negatives Urteil über die bisherige Islampolitik in Deutschland auch radikal erscheinen, da in den vergangen 10 Jahren viele wichtige Maßnahmen eingeführt wurden, berührt er vor allem mit der Affäre um DITIB dennoch einen wunden Punkt und entwickelt wichtige Anregungen für eine Neugestaltung der Islampolitik in Deutschland.
Seine bewusste Orientierung am Grundgesetz spart allerdings die Diskussion darüber aus, ob die vorhandenen religionspolitischen Bestimmungen geeignet sind, um die faktische Pluralität unserer multireligiösen Gesellschaft zu organisieren. Schließlich resultieren sie aus der historischen Auseinandersetzung zwischen dem Staat und der christlichen Religion. Doch wie viele andere Politiker scheint Beck die Bestimmungen des Grundgesetzes als ausreichend anschlussfähig zur Integration von religiösen Minderheiten zu bewerten.
Abseits von solchen grundsätzlichen Erwägungen rufen Becks Vorschläge einige praktische Schwierigkeiten hervor: Volker Beck zeigt selbst auf, dass eine Umwandlung der islamischen Verbände nicht schnell und unproblematisch erfolgen wird. Wie aber kann in der Zwischenzeit eine Kooperation zwischen staatlichen und islamischen Akteuren aussehen? Wie können Initiativen wie der islamische Religionsunterricht und die Ausbildung von islamischen Theologen auf einer legitimen Basis weiter fortgeführt werden?
Um diese Projekte nicht zu gefährden, darf die Umgestaltung der Verbandslandschaft der Muslime nicht als harter Schnitt anvisiert werden. Vielmehr setzt sie zum einen zunächst eine genaue Analyse der Fakten voraus. Hierzu wäre ein wissenschaftlicher Dienst, wie ihn Volker Beck vorschlägt, sicherlich eine wichtige Einrichtung.
Zum anderen sollten staatliche Akteure gemeinsam mit veränderungsbereiten Akteuren der Verbände in der Islampolitik über Umstrukturierungsmaßnahmen nachdenken und überlegen, wie eine Ablösung von den Herkunftsstaaten gelingen kann, ohne die Organisationen und die von ihnen mitgetragenen islampolitischen Projekte grundsätzlich zu gefährden. Der Staat kann sich dieser Diskussion nicht entziehen und die Verbände sich selbst überlassen, ohne dabei wichtige Kooperationen und Fortschritte der vergangenen Jahre zu riskieren. Er kann und muss aber von den Verbänden auch erwarten, dass sich diese darum bemühen, die religionspolitischen Regelungen des Grundgesetzes konsequent zu realisieren und etwaige Defizite in diesem Bereich aufzuarbeiten.
Zwar sollte langfristig darauf hingearbeitet werden, dass die Verbände sich eigenständig organisieren und finanzieren können, doch bedürfen sie dazu (struktureller und finanzieller) Hilfestellungen, über deren Möglichkeiten die Akteure gemeinsam mit dem deutschen Staat in islampolitischen Foren beraten sollten.
(Foto: Stefan Kaminski)