Die Deutsche Islam Konferenz – Religion, Politik und Integration

Am 28./29. November 2018 hat das Bundesinnenministerium (BMI) die vierte Deutsche Islam Konferenz (DIK) eröffnet. Der Gastgeber Horst Seehofer begrüßte die Teilnehmenden mit einer Grundsatzrede, in der er die Agenda für die vierte Islamkonferenz in der Fragestellung zusammenfasste, wie es gelingen könne, einen Islam in Deutschland zu fördern, „der in unserer Gesellschaft verwurzelt ist, die Werte unseres Grundgesetzes teilt und die Lebensarten dieses Landes achtet – einen Islam in, aus und für Deutschland, einen Islam der deutschen Muslime“1. Hierzu hat Seehofer viele verschiedene Akteure eingeladen, die den Islam bzw. den Islamdiskurs in Deutschland beeinflussen. Das BMI hat auf diese Weise versucht, die Pluralität des Islam in Deutschland möglichst umfassend abzubilden und miteinander ins Gespräch zu bringen. Im Mittelpunkt der DIK IV sollen alltagspraktische Fragen des Zusammenlebens stehen.

Einige dieser Ideen knüpfen stark an vorangegangene Formate der DIK an, andere weichen explizit davon ab. Die aktuelle DIK bewegt sich zwischen Kontinuität und Wandel. Was sagt diese Ausrichtung über die Entwicklung der Islampolitik in Deutschland? Welche Fortschritte lassen sich beobachten? Welche Lernprozesse sind zu erkennen? Inwiefern haben sich die Bedingungen verändert und wo sind Stagnationen oder gar Rückschritte zu erkennen? Und zuletzt: Auf welchen Leitideen basieren die Konferenzen?

Zur Klärung dieser Fragen bedarf es einer Rückschau auf die Entwicklung der Deutschen Islam Konferenz von 2006 bis heute. Hierzu werden im Folgenden die vier Phasen der DIK hinsichtlich ihrer Strukturen, ihrer personellen Zusammensetzung sowie ihrer Zielsetzungen und Ergebnisse beleuchtet und in Beziehung zueinander gesetzt.

DIK I (2006 – 2009) – Aufbruch zur Religionspolitik

Die Einberufung der DIK im Jahr 2006 kann als eine Wende der deutschen Religionspolitik betrachtet werden. Schien die Politik jahrzehntelang mehrheitlich von der Auffassung geleitet, dass mit dem Art. 4 GG, dem Art. 7 GG und den Art. 136-141 der Weimarer Reichsverfassung (WRV), die in Art. 140 GG inkorporiert wurden, alle notwendigen Regelungen zur Religionspolitik erfolgt seien, änderte sich diese Einschätzung mit Beginn des 21. Jahrhunderts nach und nach. Nachdem in der Politik anerkannt wurde, dass Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist, sich das religiöse Feld nachhaltig pluralisiert hat und Religion spätestens seit dem 11. September 2001 wieder zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, wurden religionspolitische Herausforderungen in der Politik wieder stärker wahrgenommen. Eine Reaktion darauf war die Einberufung der Deutschen Islam Konferenz im Jahr 2006. Sie wurde im Referat M II 3 „Interkultureller Dialog und Deutsche Islam Konferenz“ in der Abteilung „Migration, Integration, Flüchtlinge und Europäische Harmonisierung“ des Bundesinnenministeriums eingerichtet.

Die strukturelle Einbindung der DIK zeigt, wie diese neue Form der Religionspolitik in Deutschland verstanden wurde: Sie wurde nicht ausschließlich von Überlegungen zur religionspolitischen Integration geleitet, sondern von umfassenden Integrationsbemühungen sowie von sicherheitspolitischen Erwägungen.

Sie fand auf Initiative und unter Leitung des BMI statt. Der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble formulierte als Aufgabenstellung der DIK die Suche nach „Lösungen der Probleme des Zusammenlebens gemeinsam und im Dialog mit den in Deutschland lebenden Muslimen“2. Die DIK wurde als ein „Problembearbeitungsinstrument, für das der Modus der Verhandlung zentral ist“3, konstituiert. Das BMI legte in der DIK I die Teilnehmenden, die Struktur und die thematische Agenda fest. Das repräsentative Plenum wurde mit 15 staatlichen und 15 muslimischen Akteuren besetzt. Die staatlichen Vertreter setzten sich aus Kommunal-, Landes- und Bundespolitikern zusammen. Die Besetzung aufseiten der Muslime stellte von Beginn an eine große Herausforderung dar, da die Frage, wer die Muslime in Deutschland repräsentiert, unterschiedlich beantwortet wurde und bis heute kontrovers diskutiert wird. Schäuble entschied sich dafür, die Muslime in Deutschland durch verbandlich organisierte Akteure sowie durch nichtverbandlich organisierte muslimische Einzelpersonen abzubilden. 5 der 15 muslimischen Teilnehmenden wurden mit Mitgliedern der Verbände (DİTİB, ZMD, VIKZ, IRD und AABF) besetzt, die anderen zehn besetzte Schäuble durch „Vertreter der nicht organisierten Muslime …, die die verschiedensten Facetten der muslimischen Lebenswirklichkeit in Deutschland repräsentieren sollten“4. Er begründete diese Einladungspolitik mit einer Erhebung, der zufolge lediglich 15 bis 20 % der Muslime in Deutschland durch die islamischen Verbände repräsentiert werden.

Diese Einladungspolitik war von Anfang an umstritten und wurde vor allem von den islamischen Verbänden als unzulässige Einmischung des Staates in die Entwicklung des Islam in Deutschland aufgefasst. Es wurde kritisiert, dass sich der Staat einen „Wunschislam“ zusammenstelle und damit seine Neutralitätspflicht verletze. Trotz dieser Kritik nahmen auch die Vertreter der muslimischen Verbände an der Konferenz teil und bearbeiteten in Arbeitsgruppen und einem Gesprächskreis gesellschaftspolitische, religionspolitische, integrationspolitische und sicherheitspolitische Fragestellungen.

Die AG 1 diskutierte die deutsche Gesellschaftsordnung, formulierte einen Wertekonsens und prüfte dessen praktische Verwirklichung. In der AG 2 wurden Religionsfragen vor dem Hintergrund des deutschen Verfassungsverständnisses diskutiert. Dort wurde etwa der rechtliche Umgang mit Normen der Scharia beraten, die Ausbildung von islamischen Religionsbediensteten, die Etablierung von islamischer Theologie an deutschen Universitäten sowie die Handhabung schulpraktischer Fragen, etwa bezüglich Kleidungsvorschriften im Sport- und Schwimmunterricht, der Teilnahme an Klassenfahrten sowie des Umgangs mit religiösen Feiertagen. Die AG 3 diskutierte eine stärkere Partizipation von Muslimen an der deutschen Medienlandschaft. Der Gesprächskreis verständigte sich über das Thema Bedrohung der inneren Sicherheit durch den Islamismus in Deutschland und entwickelte Kooperationsprojekte zwischen Bund und Ländern. Die Integration der Sicherheitsthematik in die Konferenz rief unter einigen muslimischen Teilnehmern der DIK Kritik hervor, da diese den Gesprächskreis als Generalverdacht gegen Muslime auffassten.

Die intensiven und sehr kontroversen Debatten, die sich vor allem aus der Zusammensetzung der Muslime in der DIK ergaben, beschränkten sich nicht auf die Arbeitsgruppe, den Gesprächskreis und das Plenum, sondern erreichten auch den breiten öffentlichen Diskurs. Die Einbindung der Öffentlichkeit in die Prozesse und Diskussionen der DIK wurde von Wolfgang Schäuble selbst angestoßen. Wenige Tage vor Beginn der Konferenz wurde in der FAZ sein Artikel „Muslime in Deutschland“ veröffentlicht. Schäuble hat darin unter anderem seine Auffassung von der Rolle und Bedeutung von öffentlicher Religion im säkularen Staat grundsätzlich dargelegt und betont, dass Religionen gläubigen Personen Halt und Orientierung geben und Menschen miteinander verbinden können. Der säkulare Staat könne von den Antriebs- und Bindungskräften5 der Religionen profitieren, wenn die religiösen Ansprüche in den gesetzlichen Rahmen der Grund- und Bürgerrechte eingebunden seien.

Diese Passagen geben einen deutlichen Hinweis darauf, dass Schäuble den staatlichen Dialog mit den Muslimen nicht nur in integrations- und sicherheitspolitische Erwägungen eingebettet, sondern dass er die DIK auch durch die gesellschaftliche Bedeutung von Religion – Bedeutung verstanden als Relevanz und Sinngebung von Religion – begründet hat. Damit hat Schäuble im Rahmen der DIK die kooperativ ausgerichtete Religionspolitik in Deutschland bekräftigt und die Islampolitik in das Politikfeld der Religionspolitik eingebunden. Er hat damit aber auch ein neues Nachdenken über Religionspolitik in Deutschland ausgelöst. Gegenwärtig wird auf breiter gesellschaftlicher Ebene über die Beibehaltung oder Veränderung des deutschen Religionsverfassungsrechts diskutiert. Zudem erheben auch weitere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften Anspruch auf religionspolitische Inklusion6 und erfahren zunehmend gesellschaftspolitische Resonanz.

DIK II (2010 – 2013) – Religion, Sicherheit und Integration

Die DIK II, die von Thomas de Maizière eröffnet und nach dessen Wechsel ins Verteidigungsministerium von Hans-Peter Friedrich fortgeführt wurde, vernachlässigte solche grundsätzlichen Überlegungen zur Beziehung zwischen Staat und Religionen eher, da sie beanspruchte, praktische Aufgaben zu fokussieren.

Lesen Sie weiter im Materialdienst der EZW: https://www.ezw-berlin.de/html/15_10028.php


Anmerkungen

1 Horst Seehofer: Grundsatzrede zum Auftakt der 4. Deutschen Islam Konferenz, www.bmi.bund.de/SharedDocs/reden/DE/2018/11/rede-dik-20181128.html (Abruf: 12.12.2018).
2 Wolfgang Schäuble: Deutsche Islam Konferenz – Perspektiven für eine gemeinsame Zukunft. Rede zur 54. Sitzung des Deutschen Bundestages, in: Deutsche Islam Konferenz (Hg.): Drei Jahre Deutsche Islam Konferenz (DIK) 2006 – 2009. Muslime in Deutschland – deutsche Muslime, Berlin 2009.
3 Marcel Klinge: Islam und Integrationspolitik deutscher Bundesregierungen nach dem 11. September 2001. Eine Politikfeldanalyse der ersten Deutschen Islam Konferenz und ihrer Implikationen für die nationale Integrationspolitik, Berlin 2012, 143f.
4 Schäuble: Deutsche Islam Konferenz (s. Fußnote 2), 17.
5 Vgl. Wolfgang Schäuble: Muslime in Deutschland (Namensartikel in der FAZ vom 27.9.2006), www.wolfgang-schaeuble.de/wp-content/uploads/2015/04/060927faz.pdf (Abruf: 11.12.2018).
6 Dies äußert sich etwa in der Forderung nach einer Konferenz über Religions- und Weltanschauungsfragen durch den Präsidenten des Humanistischen Verbandes Deutschlands, Florian Zimmermann. Zimmermann sieht das langfristige Ziel einer solchen Konferenz in der Reform des Staatskirchenrechts. Vgl. hpd: Der Islam, eine ganz normale Religion?, https://hpd.de/artikel/islam-ganz-normale-religion-16253 (Abruf: 21.12.2018).

Neuausrichtung der Islampolitik

Volker Beck zieht in einem Beitrag für das Debattenportal CAUSA des Tagesspiegels eine ernüchternde Bilanz über die bisherige Islampolitik in Deutschland. Die Deutsche Islam Konferenz, die seit 2006 im Bund als Kommunikationsgremium zwischen staatlichen und muslimischen Akteuren fungiert, habe keine nennbaren Ergebnisse hervorgebracht und in den Ländern herrsche derzeit ein „Flickenteppich aus gesetzlichen Regelungen zum Kopftuch und Religionsunterricht“ vor.

Beck fordert eine klare Linie in der politischen Positionierung zum Islam und den Muslimen in Deutschland. Diese dürfe sich nicht – wie es aktuell geschehe – zwischen  einem Islambashing und leiltkulturellen Machtdemonstrationen auf der einen und einem leichtsinnigen Umgang in der Zusammenarbeit mit den Verbänden auf der anderen Seite bewegen.

Beck kritisiert die bisherige Islampolitik dafür, dass sie den islamischen Verbänden in Deutschland zu unkritisch begegne, ihnen den Status von Religionsgemeinschaften anbietet, obwohl sie kaum Informationen über ihre Aufstellung, Organisation und Finanzierung besitzt. Er schlägt zur Bewältigung dieses Informationsdefizits die Einrichtung eines wissenschaftlichen Instituts vor, „das für Staat und Zivilgesellschaft Informationen über Ausrichtung, Verbindungen und Struktur islamischer Organisationen aufarbeitet“.

Des Weiteren tritt Beck für eine Islampolitik ein, die sich der kooperativen Trennung zwischen Staat und Religion in Deutschland konsequent verpflichtet weiß und die Religion nicht aus der Öffentlichkeit verdrängt, sondern die Religionsfreiheit von religiösen Bürgern schützt, solange diese die Rechte Dritter nicht beeinträchtigen.

Becks Entwurf einer neuen Islampolitik orientiert sich an den Prinzipien des Grundgesetztes. Er tritt insofern für eine Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften ein, die vielfältige „öffentliche Entfaltungs-­ und Beteiligungsmöglichkeiten“ beinhaltet. Er fordert in diesem Zusammenhang vom Staat jedoch zugleich eine kritische Prüfung seiner Kooperationspartner, damit ihm „kein Kuckucksei ins Nest gelegt wird“.

Der Staat muss Beck zufolge höhere Ansprüche an jene islamischen Verbände stellen, die sich als Kooperationspartner des Staates begreifen und als Religionsgemeinschaften anerkannt werden wollen.  Eine verantwortungsvolle Kooperation zwischen Staat und islamischen Organisationen bedürfe einer „bekenntnisförmige[n] Neuorganisation der Muslime“, die eine Loslösung der islamischen Verbände von den Herkunftsstaaten und eine stärkere Hinwendung der Organisationen zum religiösen Bekenntnis beinhalte.

Für daraus resultierende Finanzierungsprobleme schlägt Beck eine vorübergehende Unterstützung durch eine staatliche Stiftung oder aber die Etablierung von nebenberuflichen Teilzeitimamen vor. Langfristig fordert Beck jedoch, dass die islamischen Verbände eine Eigenfinanzierung ihrer religiösen Leistungen bewerkstelligen müssen.

Volker Beck entwickelt seine Impulse für die Islampolitik in Deutschland in einer Krisenzeit. Vor allem die Affären um den türkischen Dachverband DITIB, seine Verbindungen zur türkischen Religionsbehörde sowie die Weitergabe von Informationen über Personen an den türkischen Staat haben viele islampolitische Projekte in den Pausenmodus versetzt und eine Fortsetzung der Zusammenarbeit fragwürdig gemacht. Beck begreift diese Situation als Chance für die Neuausrichtung einer aus seiner Perspektive bislang mangelhaften Islampolitik.

Mag Becks negatives Urteil über die bisherige Islampolitik in Deutschland auch radikal erscheinen, da in den vergangen 10 Jahren viele wichtige Maßnahmen eingeführt wurden, berührt er vor allem mit der Affäre um DITIB dennoch einen wunden Punkt und entwickelt wichtige Anregungen für eine Neugestaltung der Islampolitik in Deutschland.

Seine bewusste Orientierung am Grundgesetz spart allerdings die Diskussion darüber aus, ob die vorhandenen religionspolitischen Bestimmungen geeignet sind, um die faktische Pluralität unserer multireligiösen Gesellschaft zu organisieren. Schließlich resultieren sie aus der historischen Auseinandersetzung zwischen dem Staat und der christlichen Religion. Doch wie viele andere Politiker scheint Beck die Bestimmungen des Grundgesetzes als ausreichend anschlussfähig zur Integration von religiösen Minderheiten zu bewerten.

Abseits von solchen grundsätzlichen Erwägungen rufen Becks Vorschläge einige praktische Schwierigkeiten hervor: Volker Beck zeigt selbst auf, dass eine Umwandlung der islamischen Verbände nicht schnell und unproblematisch erfolgen wird. Wie aber kann in der Zwischenzeit eine Kooperation zwischen staatlichen und islamischen Akteuren aussehen? Wie können Initiativen wie der islamische Religionsunterricht und die Ausbildung von islamischen Theologen auf einer legitimen Basis weiter fortgeführt werden?

Um diese Projekte nicht zu gefährden, darf die Umgestaltung der Verbandslandschaft der Muslime nicht als harter Schnitt anvisiert werden. Vielmehr setzt sie zum einen zunächst eine genaue Analyse der Fakten voraus. Hierzu wäre ein wissenschaftlicher Dienst, wie ihn Volker Beck vorschlägt, sicherlich eine wichtige Einrichtung.

Zum anderen sollten staatliche Akteure gemeinsam mit veränderungsbereiten Akteuren der Verbände in der Islampolitik über Umstrukturierungsmaßnahmen nachdenken und überlegen, wie eine Ablösung von den Herkunftsstaaten gelingen kann, ohne die Organisationen und die von ihnen mitgetragenen islampolitischen Projekte grundsätzlich zu gefährden. Der Staat kann sich dieser Diskussion nicht entziehen und die Verbände sich selbst überlassen, ohne dabei wichtige Kooperationen und Fortschritte der vergangenen Jahre zu riskieren. Er kann und muss aber von den Verbänden auch erwarten, dass sich diese darum bemühen, die religionspolitischen Regelungen des Grundgesetzes konsequent zu realisieren und etwaige Defizite in diesem Bereich aufzuarbeiten.

Zwar sollte langfristig darauf hingearbeitet werden, dass die Verbände sich eigenständig organisieren und finanzieren können, doch bedürfen sie dazu (struktureller und finanzieller) Hilfestellungen, über deren Möglichkeiten die Akteure gemeinsam mit dem deutschen Staat in islampolitischen Foren beraten sollten.

 

(Foto: Stefan Kaminski)