Martin Schulz‘ Glaube an eine Politik mit Moral

 

Martin Schulz hat auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 2017 einen Vortrag zum Thema „Glaubwürdigkeit in einer pluralen Gesellschaft“ gehalten. Er hat sich seinem Publikum als passiver Katholik vorgestellt und seine persönliche Verbindung zum Kirchentag als eine indirekte eingeordnet. Diese Selbsteinschätzung durchzieht die inhaltliche Gestaltung seines Beitrags. Schulz versucht durch den Aspekt des Glaubens zwar eine Verbindung zum religiösen Hintergrund der Veranstaltung herzustellen, begreift den Glauben dabei aber nicht religiös-substanziell, als eine Verbindung von bestimmten religiösen Inhalten mit dem Akt des Glaubens, sondern definiert ihn als Vertrauen. Vertrauen gilt Schulz als Orientierung, die Menschen in einer Zeit wachsender Komplexität Sicherheit zu geben vermag.

Die Beobachtung, dass ein großer Vertrauensverlust in öffentliche Autoritäten und Einrichtungen – wie die Politik, die Medien und die Wissenschaft – stattgefunden hat, bewertet Schulz insofern als große Gefahr für die Ordnung moderner Gesellschaften. Der Politiker Schulz interessiert sich insbesondere für die Ursachen, die den Vertrauensverlust in die Politik begründen.

Er kritisiert in diesem Zusammenhang falsche Wahlversprechen, durch die Wählerinnen und Wähler langfristig Vertrauen in die Politik verlieren. Politikerinnen und Politiker besitzen Schulz zufolge eine Verpflichtung zur Wahrheit. Neben einer objektiven Wahrheit konstatiert Schulz allerdings auch eine gefühlte Wahrheit, da Wissen durch drei Faktoren bedingt sei: Zum einen durch die Zuverlässigkeit der Person, die es vermittelt, zum anderen durch die Wahrheit der Aussage sowie drittens durch das Bauchgefühl der Wahrnehmenden. Folgt man dieser Aufzählung, so wird eine zentrale Herausforderung der Wahrheitsvermittlung deutlich: Nicht alle Rezipierenden werden zur gleichen Einschätzung über die Zuverlässigkeit der Personen gelangen und das gleiche Bauchgefühl entwickeln. Schulz leitet aus dieser Schwierigkeit einen Appell an Politikerinnen und Politiker ab, ihre Zuverlässigkeit ständig neu unter Beweis zu stellen und um Vertrauen zu werben.

Er warnt hierbei zudem eindringlich vor einer Politik ohne Moral und bezieht als negatives Anschauungsbeispiel die USA in seine Überlegungen ein. Im US-amerikanischen Wahlkampf wurden Schulz zufolge Grenzen des Anstands und der Menschenwürde überschritten, indem politische Mitbewerber nicht als Konkurrenten, sondern als Feinde inszeniert und bewertet wurden. Er bindet ein eignes Versprechen hinsichtlich seines Wahlkampfverhaltens an diesen Themenkomplex an und spricht sich dafür aus, zwar scharfe inhaltliche Auseinandersetzungen mit den politischen Mitbewerbern zu suchen, sich aber gegenüber den Personen respektvoll zu verhalten.

Zugleich nimmt Schulz Politikerinnen und Politiker in die Pflicht, die Komplexität der Welt zwar zu erfassen und diese auch zu vermitteln, sie für die Bürgerinnen und Bürger aber in größtmöglicher Deutlichkeit zu formulieren.
Politikerinnen und Politikern, Journalistinnen und Journalisten sowie wissenschaftlichen Expertinnen und Experten müsse es gelingen, Aufmerksamkeit und Vertrauen wieder zu gewinnen, da fehlendes Vertrauen zu Ungewissheit, diese wiederum zu Angst und Angst zu Hass führen werde.
Um die Ausbreitung einer solchen Abwärtsspirale zu verhindern, wirbt Schulz bei den Bürgerinnen und Bürgern um einen „Vertrauensvorschuss“ für die Politik. Er verbindet diesen mit einer optimistischen Zukunftsperspektive, die auf seinem Glauben basiert, dass der Populismus aufgehalten und die Errungenschaften der Demokratie bewahrt werden können.

Schulz verspricht den Zuhörenden auf dem Kirchentag somit eine Politik, die sich um Wahrheit, um Klarheit und um Moral bemüht, verlangt von den Bürgerinnen und Bürgern im Gegenzug jedoch ein Zutrauen in die Wahrheitsfähigkeit der Politik und die Integrität von Politikerinnen und Politikern.