Islampolitik in Niedersachsen. Irritationen im Koalitionsvertrag

In Niedersachsen haben sich SPD und CDU auf einen Koalitionsvertrag verständigt. Unter der Überschrift „Kirchen und Religionsgemeinschaften“ führen die Parteien ihre Positionen zur Religionspolitik in Niedersachsen aus.

Vorgeschichte

Öffentliches Interesse erregen vor allem die Absichtserklärungen zum Umgang mit der islamischen Religion. Denn in der letzten Legislaturperiode waren SPD und Bündnis 90/Die Grünen kurz davor gewesen, einen Vertrag mit islamischen Verbänden abzuschließen. Die damalige Landesregierung hat im Jahr 2013 Gespräche mit der SCHURA Niedersachsen und dem DITIB Landesverband Niedersachsen und Bremen e.V. aufgenommen, um einen Vertrag auszuhandeln. Das Ziel der Verhandlungen formulierten die Beteiligten darin, „Lösungsansätze für klärungsbedürftige Fragen im Integrationsprozess zu erarbeiten und die gefundenen Lösungen in einer Vereinbarung festzuhalten. Durch die angestrebte Vereinbarung soll auch herausgestellt werden, dass die Bürgerinnen und Bürger islamischen Glaubens sich am religiösen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben in Niedersachsen beteiligen“ (Niedersächsischer Landtag 2012: 37).

Der Vertrag sollte demnach der offiziellen Anerkennung der islamischen Gemeinschaften als eines aktiven Bestandteils des öffentlichen Lebens in Niedersachsen dienen. Bereits im Dezember 2012 erzielten die Akteure in ihren Verhandlungen eine Vereinbarung zur „muslimischen Seelsorge im Justizvollzug“ (Niedersächsisches Justizministerium 2012: 1). Niedersachsen holte zur Prüfung darüber, ob die Vertragspartner als Religionsgemeinschaften nach Art. 7 Abs. 3 GG gelten können, ein religionswissenschaftliches und ein rechtliches Gutachten ein. Beide Gutachten kamen zu einem positiven Ergebnis.

Dennoch wurde der Vertrag in der vergangenen Legislaturperiode nicht abgeschlossen, da die Beziehungen der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) zur Türkei in die Kritik gerieten. Die CDU-Landtagsfraktion beschloss am 02. August einstimmig, die Verhandlungen mit DITIB aufgrund „mangelnder Staatsferne“ des Vereins zum türkischen Staat abzubrechen. Nach anhaltender Kritik gab die Landesregierung im Januar 2017 bekannt, dass die Vertragsverhandlungen bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode ausgesetzt werden.

Bewegung im aktuellen Vertrag

Im aktuellen Koalitionsvertrag haben sich SPD und CDU darauf geeinigt, die Gespräche wieder aufzunehmen. Als Ziel dieser Gespräche wird die „Entwicklung eines Formats der Zusammenarbeit, das einerseits der besonderen Verfasstheit der muslimischen Organisationen gerecht wird und andererseits die Gewähr dafür bietet, dass der mit dem Vertragsschluss seinerzeit angestrebte Zweck erreicht wird, sei es durch einen Vertrag, sei es auf vergleichbare andere Weise“ (SPD/CDU 2017: 22) benannt.

Irritationen

Für eine voranschreitende religionsrechtliche Integration der islamischen Religionsgemeinschaften ist es erfreulich, dass sich die CDU offen für Gespräche und Vereinbarungen zeigt – auch wenn abzuwarten bleibt, wie eine Verständigung  zwischen CDU und DITIB gelingen kann.
Irritierend ist jedoch, wie die zukünftigen Prozesse der Auseinandersetzung im Koalitionsvertrag tituliert werden – nämlich als „interreligiöser Dialog“. Im Koalitionsvertrag steht explizit: „SPD und CDU werden anknüpfend an die zum Abschluss eines Vertrages mit den muslimischen Verbänden geführten Gespräche aus der abgelaufenen Wahlperiode den interreligiösen Dialog fortsetzen“ (ebd.).

Ein interreligiöser Dialog kann jedoch nur zwischen Religionsgemeinschaften stattfinden. Regierungsparteien können einen interreligiösen Austausch befürworten, ihn sogar fördern, sich aber nicht in die inhaltliche Ausgestaltung eines solchen Dialogs einmischen.

Wolfgang Schäuble hat dies im Rahmen der Deutschen Islam Konferenz herausgestellt und zurecht darauf hingewiesen, dass „es nicht in der Macht der Politik und der Politiker [steht], das tatsächliche Miteinander und Zusammenleben der Religionen zu gestalten. Das müssen die Menschen selbst tun. Die Aufgabe und Verantwortung der Regierung besteht darin, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es allen religiösen Gruppen optimal ermöglichen, sich in das gesellschaftliche und politische Leben einzubringen“ (Schäuble 2009).

Genau das sollte auch Aufgabe der niedersächsischen Landesregierung sein. Das Missverständnis, die Diskussionsprozesse zwischen der Landesregierung und den muslimischen Kooperationspartnern als interreligiösen Dialog zu bezeichnen, sollte behoben werden, da ansonsten eine unzulässige Identifikation der Landesregierung mit einer religiösen Position angedeutet wird, die dem Prinzip der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates zu wider läuft.

 

Literatur

Niedersächsischer Landtag: Antwort auf die Große Anfrage: Muslimisches Leben in Niedersachsen. Drucksache 16/5434, 2012. Auf: https://www.fraktion.gruene- niedersachsen.de/fileadmin/docs/fraktion/plenarinitiativen/ Grosse_Anfrage_muslimisches_leben_nds.pdf, Stand: 21.11.2017.

Niedersächsisches Justizministerium: Justizminister Busemann unterzeichnet Vereinbarung zwischen den muslimischen Landesverbänden und dem Justizminister zur muslimischen

Seelsorge im Justizvollzug, Hannover 18.12.2012. Auf: http://www.mj.niedersachsen.de/ portal/live.php?navigation_id=3745& article_id=111512&_psmand=13, Stand: 20.10.2014.

Schäuble, Wolfgang: Das Miteinander der Religionen in Deutschland und Europa. Rede anlässlich des Besuchs der Kairo Universität, 21.06.2009. Auf: http://www.wolfgang- schaeuble.de/das-miteinander-der-religionen-in-deutschland-und- europa/, Stand: 23.05.2017

SPD/CDU: Gemeinsam für ein modernes Niedersachsen. Für Innovation, Sicherheit und Zusammenhalt. Für die 18. Wahlperiode des Niedersächsischen Landtages 2017 bis 2022. Auf: https://www.ndr.de/home/niedersachsen/groko230.pdf, Stand: 21.11.2017.

Muslimischer Feiertag – Blitzlichter einer Scheindebatte

Der Auslöser

Thomas de Maizière hat in seiner Rede zur deutschen Leitkultur in Wolfenbüttel am 09. Oktober 2017 die jüdisch-christliche Prägung Deutschlands nachdrücklich herausgestellt. Er hat die Meinung vertreten, dass die Bundesrepublik in außergewöhnlichem Maße christlich geprägt ist – was sich sowohl in der herausragenden Rolle der christlichen Wohlfahrtsverbände zeige, als auch durch die Sonn- und Feiertage, durch die das Christentum den gesamten Lebensrhythmus der Deutschen entscheidend präge. Zusätzlich macht de Maizière bei seinem Auftritt in Niedersachsen mehr als einmal deutlich, dass er sich wünscht, dass das auch so bleibt.

Allerdings zieht er in diesem Zusammenhang zusätzlich in Erwägung, dass in solchen Regionen, in denen sehr viele Muslime leben, über die Einführung eines muslimischen Feiertags nachgedacht werden könnte. Diese theoretische Möglichkeit ergänzt er jedoch unmittelbar durch die Zusicherung, dass die Feiertage in Deutschland generell christlich geprägt sind und betont noch einmal, dass das auch so bleiben solle.

Debatten erwünscht

Aus diesem Versuch von de Maizière, seine Vorstellungen von einer deutschen Leitkultur vorsichtig mit der gesellschaftlichen Diversität zu kombinieren, hat sich eine Debatte über die Zulässigkeit muslimischer Feiertage in Deutschland entwickelt.

Eine Debatte die nicht darüber räsoniert, wie viel christliche Prägung die Gesellschaft wirklich noch besitzt: Ob sich unser kollektives Gedächtnis noch an die Sinngehalte christlicher Feiertage erinnern kann? Oder ob die Bedeutung christlicher Feiertage stattdessen für viele Menschen nur noch zwischen der äußeren Symbolik einer nationalen kulturellen Identität und einer gern genutzten Möglichkeit zur zusätzlichen Freizeitgestaltung oszilliert?

De Maizières Rede enthält einiges an Potential für kritische Nachfragen, für Debatten über gesellschaftliche Umbrüche und Umwertungen, doch nur ein Aspekt seiner Worte hat Karriere in der gesellschaftspolitischen Öffentlichkeit in Deutschland gemacht: seine kurze Bemerkung zu den muslimischen Feiertagen. De Maizière wurde für diese Aussage von vielen Politikern sowohl aus den eigenen sowie aus anderen Parteien scharf kritisiert. Öffentlichen Applaus hat er dafür auch nicht von deutschen Muslimen erhalten. Denn auch diese identifizieren einen muslimischen Feiertag nicht als vordringliches  Anliegen und haben dementsprechend auch keinen Antrag auf einen gesetzlichen muslimischen Feiertag gestellt.

Entgleisung der Debatte

Dennoch wurde in den nachfolgenden öffentlichen Debatten vielfach über die (Un)Zulässigkeit eines muslimischen Feiertags diskutiert. Hierdurch wurde das Gefühl einer vermeintlichen Islamisierung der Gesellschaft verstärkt, das christliche Erbe der deutschen Kultur neuerlich beschworen und der Narration von einem „christlichen Wir“ dem ein „muslimisches Anderes“ gegenübersteht verstärkt. Im bayerischen Landtag gipfelte die Debatte in einem Dringlichkeitsantrag zur Bewahrung der Feiertagskultur, der führend von der CSU-Fraktion gestellt wurde.

Der Antrag spricht sich gegen die Einführung eines muslimischen Feiertags und für die Bewahrung der christlichen Feiertagskultur aus. Der Antrag speist sich damit einzig aus der kurzen Bemerkung de Maizières in Wolfenbüttel und lässt eine durchdringende Haltung gegen Veränderung durch gesellschaftliche Diversität erkennen. Der Staatssekretär Gerhard Eck (CSU) fasst die Position des Antrags in prägnanten Worten zusammen: „Wir wollen keine Veränderungen in diesem Land“ (Bayerischer Landtag – vorläufiges Plenarprotokoll 17/114 v. 25.10.2017, 34).

Kommentar

Die Debatte über das Phantom eines muslimischen Feiertags zeigt, wie emotional um kulturelle Identität gerungen wird und wie schnell sich solche Diskussionen vom sachlichen Gegenstand entfernen und zur ausgrenzenden Parole werden können. Ein Land das Veränderungen grundsätzlich ablehnt, kann den Herausforderungen einer dynamischen Gesellschaft nicht konstruktiv begegnen.

An dem Ausspruch des Staatssekretärs im bayerischen Landtag wird ein Kulturverständnis sichtbar, das nicht auf kultivieren, sondern auf konservieren von kollektiven Praktiken setzt. Kulturen sind aber kein überzeitlicher Besitz. Im weiten Sinn bezeichnen sie vielmehr alles, was Menschen selbstgestaltend hervorbringen (vgl. Prechtl/Burkhard: Metzler Philosophie Lexikon, Stuttgart/Weimar 1999). Kulturen befinden sich aus diesem Grund immer in Bewegung. Man kann sie nicht hermetisch abriegeln und gegen Veränderungen abschirmen.

Gegenwärtig ist nicht der richtige Zeitpunkt, um über einen gesetzlichen muslimischen Feiertag zu diskutieren. Aus diesem Grund haben auch alle Parteien und viele Bürger*innen abwehrend auf diese Möglichkeit reagiert. Es ist allerdings noch weniger die Zeit, um eine solche Debatte künstlich aufzubauschen, identitäre Stimmungen zu nähren und potenzielle gesellschaftliche Neuerungen prinzipiell abzulehnen.

Vielmehr ist es Zeit dafür, sich mit kulturellen Vorstellungen, Traditionen und Wertbindungen reflektierend, unter Einbeziehung gesellschaftlicher Veränderungen, auseinanderzusetzen, der Prüfung standhaltende Elemente und Wertbindungen aktiv zu kommunizieren und zu praktizieren und Menschen auf diese Weise dazu einzuladen, Wertbindungen dazu aufzubauen.